Bestie Mensch: Tarnung - Lüge - Strategie (German Edition)
die vernetzte Art, an Problemstellungen heranzugehen, aus den Informationen 3, 12, 43 und 118 eine Schlussfolgerung zu ziehen, um sie anschließend mit der Information 1, 9, 26 und 219 zu verifizieren oder zu verwerfen, das erschien uns als das Herzstück im Bereich der Verhaltensbeurteilung.
Das Zweite war der Hausverstand: die einfachsten Gesetze der Physik und der Chemie, der Biologie und das Rad der Mutter Natur verstehen zu können. Wer menschliches Verhalten beurteilen will – nicht verurteilen, sondern beurteilen –, muss verstehen, dass Entscheidungen Spuren hinterlassen. Blut kann eben nur nach unten rinnen, aber auch nach oben spritzen und herabfallende Blätter können sich nicht in einer herzförmigen Form auf die Leiche niederlegen, wenn sie vom Baum herunterfallen.
Und der dritte Punkt schien uns der Luxus der Unschuldigkeit zu sein. Das Wissen, dass jeder Mensch, der frei in seinen Entscheidungen ist, einen unglaublichen Luxus besitzt, dessen er sich tagtäglich bewusst sein sollte. Es gibt Tausende Menschen, die, unfrei, krank oder verstümmelt geboren, der geistigen Fähigkeit beraubt, Dinge zu hinterfragen, das Leben meistern – und es gibt jene, die den Luxus der Unschuldigkeit besitzen und ihre Existenz nicht einmal würdigen. Die Beschäftigung mit der Schuld war eine zentrale Frage, denn wir erkannten, dass wir in den Dutzenden, Hunderten, ja Tausenden Einzelgesprächen mit Menschen, die andere vergewaltigt und gequält, umgebracht, beraubt, bestohlen und gedemütigt hatten, kaum jemanden trafen, der aus seiner Sicht schuldig war. Es war immer ein Schicksal. Es war ein Verhalten des Opfers. Es waren außergewöhnliche Lebensumstände. Es war teilweise aber auch eine ungenügende Beschäftigung mit Ursache und Wirkung. Gerade Friedrich Schiller nahm sich dieses Themas in seinen „Räubern“ auf eine außergewöhnliche Art und Weise an.
„Ich muss alles um mich herum ausrotten, damit ich Herr sein kann. Herr muss ich sein, damit ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht.“
44.
Schiller wählt als Schauplatz für seine Familientragödie Franken. Der alte verwitwete Graf Maximilian von Moor hat zwei Söhne. Der eine ist Karl. Karl hat vor Jahren das väterliche Schloss verlassen, um die Gesetze des Lebens nicht nur aus den Büchern, sondern auch aufgrund der Gesetzmäßigkeiten der Straße kennenzulernen. Er hasst nichts mehr als Verlogenheit und Falschheit und möchte sich vor allem nicht in das Korsett der Gesetze einpressen lassen. Wir lernen auch ihn am besten dadurch kennen, dass wir ihn selbst sprechen hören.
„Das Gesetz hat zu Schneckengang verdorben, dort wo Adlerflug geworden wäre. Gesetze haben noch nie einen großen Mann hervorgebracht. Nur die Freiheit bildet Extremitäten und Kolosse aus.“
Im Laufe seines umtriebigen Lebens ist Karl immer wieder in die Grauzone der Gesetze vorgedrungen, ohne jemals straffällig zu werden. Aber es zog ihn immer mehr in das väterliche Schloss zurück und er schreibt seinem Vater einen Brief, in dem er ihm keinen Umstand verschweigt, denn er ist der Meinung, wo Ehrlichkeit ist, ist auch Mitleid und Hilfe. Franz, der zweitgeborene Sohn, ist eifersüchtig auf Karl und fälscht diesen Brief. Er gaukelt dem Vater vor, dass Karl 40.000 Dukaten Schulden angehäuft, die Tochter eines reichen Bankiers entjungfert und den Bräutigam im Duell tödlich verwundet habe. Der alte Graf sieht den Namen Moor in Verruf geraten und will seinem Erstgeborenen Karl einen Brief schreiben. Doch Franz nimmt ihm diese Aufgabe aus der Hand mit den Worten: „Warte, Vater, möge dir der Zorn ob dieses Umstandes zu harte Worte in die Feder werfen. Lass mich den Brief schreiben.“
Falschheit, Lüge und Betrug, Desinformation und hinterlistige Perfidie, das sind die Eigenschaften, die Friedrich Schiller seinem Franz Moor auf den Leib schreibt. Er lässt ihn abermals einen Brief fälschen, zwingt den Bruder Karl dazu, in die Ferne zu ziehen, um eine Räuberbande zu gründen, weil er von der Ehrlichkeit des Lebens enttäuscht ist und sich zurückzieht. Schiller schreibt Franz Moor die Fähigkeiten auf den Leib, das perfekte Verbrechen zu begehen, indem er den alten Grafen so lang in Gram und Verzweiflung ausharren lässt, bis der Geist den Körper zerstört. Durch geschickte Desinformation, falsche Vorhalte, durch Manipulation treibt Franz Moor seinen Vater nahezu in den Tod. Als dieser aber nicht verstirbt, geht er so weit, dass er
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