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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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schrubben pflegt – und Milva denkt viel nach.
    Ich finde sie denn auch in ein philosophisches Streitgespräch mit einem Gärtner vertieft.
    »Ich kann nämlich lesen«, sagt Milva gerade.
    »Wie schön«, antwortet der Gärtner etwas unsicher.
    »Da steht: Betreten verboten.«
    »Ja. Und?«
    »Du stehst aber trotzdem da.«
    Milva duzt alles und jeden. Sie hat Hippieeltern und ist auf einem Biohof im Westerwald aufgewachsen. Ihre Eltern haben kein Problem damit, dass Milva behindert ist, und das sagen sie ihr auch jedes Mal, wenn sie zu Besuch sind. Sie haben eher ein Problem damit, dass Milva gern Schlager hört.
    »Ich darf das«, sagt der Gärtner.
    »Warum?«
    »Weil ich hier gerade arbeiten muss.«
    »Der da arbeitet auch gerade hier.«
    Milva zeigt über ihre Schulter in meine Richtung.
    »Das ist mein Zivi«, sagt sie, ohne sich umgedreht zu haben.
    »Er muss alles aufräumen und so. Genau wie du.«
    »Und?«
    »Er darf aber nicht auf den Rasen, ne?«
    »Nein«, sagt der Gärtner.
    Milva dreht sich um und mustert mich etwas abschätzig.
    »Hab ich mir gedacht.«
    Ein Supergespräch. Sokrates wäre stolz auf sie, aber Milva ist schon beim nächsten Thema: ihrer Familie.
    »Das ist meine Mutter«, sagt sie und zeigt dem Gärtner das Foto einer dicken Frau im Batikkleid, die ein Ferkel in der Hand hält.
    »Wir haben auch Tiere, aber zum Essen«, erklärt Milva.
    Der Gärtner nickt. Milva entziffert das Schild neben dem Gehege.
    »Wie schmeckt Helmkasuar?«, fragt sie dann.
    Zu meiner Überraschung sagt der Mann: »Wie Hühnchen.«
    Die beiden verstricken sich daraufhin in ein Fachgespräch über Aufzucht und Hege von Geflügel, bei dem Milva mühelos mithalten kann. Das überrascht den Gärtner, jetzt zeigt er plötzlich ehrliches Interesse.
    Milva zählt die Namen aller Hühner auf, die ihre Familie je gehabt hat, und der Gärtner, der Wert darauf legt, dass er eigentlich Tierpfleger sei, gibt sich beeindruckt.
    »Ich singe ihnen vor, damit sie mehr Eier legen«, erklärt Milva und der Mann nickt.
    Das mache ich auch, sagt er und dann fragt er, ob Milva den Emus etwas vorsingen möchte, die würden sich in letzter Zeit etwas schwertun.
    Milva möchte. »Ich mag dich«, sagt sie. Das hat sie zu mir noch nicht gesagt, bemerke ich und bemühe mich, nicht eifersüchtig zu sein.
    Ich verabrede mit den beiden einen Treffpunkt am Affenfelsen und kann mich dann endlich um Horsti kümmern. Horsti hat heute seinen braunen Cordanzug, eine graue Wollkappe mit Fischgrätmuster und Gummistiefel angezogen, er sieht aus wie ein etwas ramponierter Veterinär, und mit diesem Outfit könnte er im Zoo ziemlichen Schaden anrichten.
    Horsti habe nämlich die Angewohnheit, hat man mich gewarnt, sich bei Ausflügen fremden Gruppen anzuschließen. In der Öffentlichkeit lässt er sich ungern mit anderen Behinderten sehen – die Leute könnten ja denken, er gehöre dazu.
    Am liebsten mag Horsti Kegelvereine, weil die meist schon so betrunken sind, dass er da gar nicht weiter auffällt. Er sucht sich dann einen Kegelbruder aus, meist den Wortführer oder den mit den dreckigsten Witzen, stellt sich daneben, lacht demonstrativ über jeden der Scherze und versucht damit gegenüber dem Rest der Truppe den Eindruck zu erwecken, er sei auf persönliche Einladung des Chefs hier.
    Meist kommt er ziemlich weit mit dieser Masche, und wenn es richtig gut läuft, glaubt er es irgendwann selbst. Im letzten Jahr mussten sie Horsti aus einem Reisebus zerren, der nach Belgien fahren sollte. Er hatte sich mit dem Busfahrer angefreundet, ihm glaubhaft versichert, er sei der Alleinunterhalter, und dann mit der Reisegesellschaft »Hoch auf dem gelben Wagen« angestimmt.
    Sie mussten unsere Chefin hinschicken, weil Horsti den Zivi öffentlich verleugnet hatte und auch der Busfahrer diesem Langhaarigen nicht recht glauben wollte, obwohl ihm Horsti zu diesem Zeitpunkt schon etwas halbseiden vorgekommen sein musste, weil er ständig neue Strophen erfand und dazu mit freiem Oberkörper im Gang tanzte, während die mitreisenden Greise sich hinter ihm zur Polonaise formierten. Normalerweise sind Kaffeefahrtgruppen erst auf der Rückreise so ausgelassen.
    Ich laufe also den Zoo ab und suche nach Gruppen, die in Horstis Beuteschema passen könnten. Aber diesmal hat sich Horsti keiner Gruppe angeschlossen, er hat sich selbst eine zusammengesucht. Wenn er Serienmörder wäre, würde man sagen, er perfektioniere seine Methode. Die Handschrift ist noch erkennbar

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