Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
dieselbe, aber das Muster wird komplexer und vielschichtiger.
Horsti hat sich eines dieser weißen Schilder organisiert, die hinter dem Kassenhäuschen in einem Schirmständer stecken, »Tourguide« steht darauf. Ich habe ihn damit schon vorhin herumfummeln sehen, bis unsere Chefin gesagt hatte, er solle die bloß stehenlassen.
Hat er aber nicht. Horsti hat viel zu gerne Publikum, und die meisten Leute kommen halt am Affenfelsen zusammen – besonders wenn man sie mit einer kostenlosen Führung anlockt.
Da hätte ich auch früher drauf kommen können.
Horsti wedelt mit seinem Schild in der Luft herum und ist auf eine Bank gesprungen, damit die Leute ihn besser hören können.
Man sieht ihm die Spannung an, es hat ihn wirklich gepackt. Er hat den Affen die Namen von seinen Lieblingswrestlern gegeben und erfindet ihnen Biografien. Das große Männchen, das auf der höchsten Erhebung des betonierten Felsens thront, ist der »Undertaker«. Er habe zehn Großwildjäger getötet, erklärt Horsti, als man ihn damals in Afrika gefangen habe, denn er sei der größte und stärkste Affe weit und breit gewesen, obwohl oder weil er im Heim aufgewachsen sei.
Die Leute gucken skeptisch auf den Pavian, der friedlich in der Sonne döst, und dann auf den dicken Mann, der mit hochrotem Kopf auf der Bank herumspringt.
Der Einzige, der es mit ihm aufnehmen könne, sei Hulk Hogan. Horsti zeigt mit großer Geste auf ein kleineres Tier, das ein Junges mit sich herumträgt.
»Das ist ein Weibchen«, bemerkt ein Zuschauer, der auch ein Junges mit sich herumträgt.
»Natürlich ist Hulk Hogan eine Frau, er hat ja lange Haare«, sagt Horsti unbeeindruckt und fährt mädchenhaft durch seine etwa schütteren Locken. Ein paar Frauen applaudieren, Horsti verbeugt sich.
Die Leute haben längst bemerkt, dass Horsti kein richtiger Tourguide ist, aber die meisten finden seine Show trotzdem ganz gut. Er hat nämlich jetzt angefangen, den Affen seine Stimme zu leihen, und synchronisiert deren Unterhaltungen. Horsti entwirft Miniaturdramen und Szenen, von einem Ehestreit blendet er in Verkaufsgespräch über, kurz unterhalb des Gipfels des künstlichen Felsens entdeckt er eine Bergexpedition, die ihre Fahne zu Hause vergessen hat und jetzt noch mal zurückmuss.
»Der hat sie doch nicht mehr alle«, ruft ein Mann. Ein paar Leute lachen.
»Du Kackheini, du«, brüllt Horsti zurück. Mit Horstis Temperament ist es so eine Sache – seine Stimmung schlägt schnell um. Und so überschäumend, wie er seine Geschichten erzählt, so vehement reagiert er auch, wenn er sich angegriffen fühlt.
Wahrscheinlich sollte ich jetzt eingreifen, immerhin bin ich ja für ihn verantwortlich. Aber wenn ich Horsti jetzt anspräche, würde jeder merken, dass ich ein Betreuer bin, der ihn zur Ordnung ruft, und das hasst er. Verständlicherweise, finde ich. Außerdem ist er furchtbar nachtragend – und Horsti ist wesentlich angenehmer, wenn er einen mag. Außerdem ist die Show wirklich gut. Der Zwischenrufer hebt bereits beschwichtigend die Hände, als Horsti ihn noch einmal mit »Kackheini« anspricht, und weil die anderen Zuschauer Horsti animieren, doch weiterzuerzählen, ist er schnell wieder versöhnt.
Er feixt, baut sich in Rhetorenpose auf, streckt die Arme zum Himmel und beginnt, von Hulk Hogans Jugend zu erzählen. »Er hat auf einem Schiff gearbeitet, wo nur Affen waren«, fabuliert er. »Sie sind in der Südsee herumgefahren und haben mit Tellern jongliert. Damit sind sie dann aufgetreten. Es war ein gutes Leben.«
»Und warum ist er dann hier?«, fragt jemand.
»Na ja«, grinst Horsti, und macht eine Kunstpause, bevor er den Faden wieder aufnimmt. »Sie haben auf einer Insel gewohnt.«
»Ich dachte, auf einem Schiff«, ruft der Mann, aber Horsti lässt sich nicht aus dem Konzept bringen.
»Nur wenn sie arbeiten mussten, es war ja ein Dienstschiff. Sonst haben sie auf der Insel gewohnt. Es war ein Felsen mitten im Meer.« Horsti zeigt auf die Anlage, sie ist von einem Wassergraben umgeben.
»Im Meer gab es viele Haie.« Er zeigt auf die dicken Karpfen, die unbeweglich unter der Wasseroberfläche des Grabens stehen, und die Leute kichern. Horsti wertet das als Zustimmung, holt einmal tief Luft und serviert seinen Zuhörern dann eine Räuberpistole, die sich gewaschen hat.
Es ist keine Geschichte im eigentlichen Sinne, weil Horsti ganz offensichtlich nichts vom linearen Erzählen hält. In verschiedenen Neben- und Rahmenhandlungen mäandert die
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