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Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)

Titel: Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Bartel
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Aussichtsplattform.
    »Kanada«, sagt Matthes, als wir die Treppen hinaufsteigen. »Was will der ausgerechnet in Kanada?«
    »Keine Ahnung. In Australien war er halt schon«, antworte ich. »Wahrscheinlich weiß er es selber nicht.«
    Aber das ist ja auch egal, für Bernd kann es eigentlich nur besser werden.
    »Der ist raus«, sagt Matthes, der offensichtlich dasselbe denkt, und wirft eine Münze in das Fernglas.
    Wir sehen Bernd dann tatsächlich abheben – er hat uns natürlich die Nummer seines Flugzeugs aufgeschrieben. Ich winke, obwohl es natürlich nichts bringt und total bescheuert aussieht. Matthes rollt erst mit den Augen, winkt dann aber auch.
    Irgendwann ist Bernd nur noch ein kleiner Punkt am Himmel und Tante Matthes zieht unseren Vertrag aus der Tasche.
    »Ich glaube, der gilt nicht mehr«, sagt er und zerreißt ihn dann in kleine Schnipsel.

16 Wir sitzen im Bully, den wir uns für das Wochenende bei der Behindertenwerkstätte geliehen haben, und reden über Rashids Geburtstagsgeschenk.
    »Ich mach das nicht«, sagt Sarah. »Bei aller Liebe, aber das mach ich nicht.« Irgendwo ist auch mal Schluss, sagt sie.
    Zu seinem Geburtstag wünscht sich Rashid nämlich, dass ihm endlich mal jemand einen runterholt, am liebsten Sarah, und wenn das nicht geht, dann Cindy Crawford.
    Er selber kann es nämlich nicht, weil er Spastiker ist. An schlechten Tagen sind Rashids Hände so heillos vor der Brust verknotet, dass man sie mit einem Stemmeisen nicht aufbrechen könnte, an guten Tagen sieht es aus, als würde er Männchen machen.
    »Tu wenigstens die Zunge rein«, sage ich dann immer, weil es der einzige Körperteil ist, den Rashid wirklich jederzeit kontrollieren kann, aber er lehnt sich dann bloß noch weiter aus dem Autofenster, macht Männchen, lässt die Zunge raushängen und versucht etwas zu rufen, wenn er irgendwo ein Mädchen sieht, aber es klingt eher wie ein heiseres Bellen und macht die Sache auch nicht gerade besser. Es wird wirklich Zeit, dass ihm jemand seinen Wunsch erfüllt.
    Aber Sarah will ja nicht. Und Cindy antwortet nicht, obwohl wir zusammen einen sehr netten Brief an ihr Management geschrieben haben, um sie für diese schöne Charity-Aktion zu gewinnen.
    Wegen des Briefs ist Rashids Betreuerin vom Jugendamt ziemlich sauer auf mich, dabei war es wirklich nicht meine Idee, ich wollte sie ihm sogar ausreden, aber Rashid hat einfach immer wieder seinen Kopf gegen das Bettgestell geschlagen und gegen dieses Argument ist jeder machtlos.
    Um ihn abzulenken, haben wir Rashid zum Dynamo-Festival eingeladen, vielmehr haben wir ihn überzeugt, selbst hingehen zu wollen und uns als Betreuer mitzunehmen, aber gefreut hat er sich trotzdem.
    Im Sommer leihen wir uns häufiger Schwerbehinderte aus und besuchen mit ihnen Musikfestivals, weil man kostenlos weitere Betreuungskräfte einschleusen und sich selbst die Stunden auch noch als Arbeitszeit aufschreiben kann. Außerdem bekommt man einen Schlüssel für sanitäre Einrichtungen, die niemand sonst benutzen darf, und wird am Einlass nicht kontrolliert. Allerdings muss einer von uns immer nüchtern bleiben oder wenigstens überzeugend so tun.
    Wir nennen das Ganze »Therapeutisches Rocken« und wollen uns mit diesem Angebot später im Behindertenbereich selbständig machen. Der therapeutische Wert ist natürlich noch umstritten, aber das ist ja bei vielen Sachen so und die werden trotzdem gemacht. Seidenmalerei z. B. hilft kein bisschen gegen Behinderung, steht aber immer wieder auf dem Stundenplan. Rashid hat mittlerweile den ganzen Schrank voller Seidentücher, kann aber immer noch nicht laufen. Da kann man es ruhig auch mal mit Rocken versuchen, finden wir.
    Rashid wird bald sechzehn und wohnt seit fünf Jahren in diesem Kinderkrankenhaus, das dafür angeblich jeden Monat einen Umschlag mit Bargeld von der jemenitischen Botschaft bekommt. Das erzählen zumindest die Krankenschwestern, und Rashid behauptet sogar, dass er zu Hause ein Prinz ist, mit Harem und allem drum und dran, aber Rashid behauptet so einiges, besonders an guten Tagen. An schlechten Tagen sitzt er bloß in der Ecke und stiert die Wand an.
    Als wir in sein Zimmer kommen, sitzt Rashid mit seinem silbernen Sturzhelm vor dem Fernseher, während in ohrenbetäubender Lautstärke VIVA läuft. Sehen kann er allerdings nichts, weil ihm der Helm über die Augen gerutscht ist.
    Die Fenster sind auf Durchzug gestellt und auf dem Sims steht ein voller Aschenbecher, denn seit die Schwestern in

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