Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
wir brechen auf.
Auf dem Weg zu den Bühnen hält uns eine Gruppe niederländischer Rocker an. Sie wollen sich mit Rashid fotografieren lassen und ihr Chef fragt höflich, was das kosten würde. Eine schwierige Situation, die Rocker haben Rashid offensichtlich mit einem dieser Äffchen am Strand verwechselt, aber wie klärt man so ein Missverständnis möglichst schonend auf? Mit Rollstuhlfahrern im Schlepptau ist man nämlich weder besonders wehrhaft noch besonders schnell, und das ist so ein bisschen die Achillesferse des Projekts »Therapeutisches Rocken«.
Rashid allerdings will sehr gerne mit Rockern fotografiert werden, kräht zustimmend und ist bald von den tätowierten Fleischgebirgen überwölbt. Sie heben ihn samt Rollstuhl hoch, prosten mit Bierdosen und Trinkhörnern in die Kamera, und erst als der Chef sein Foto macht, fällt uns auf, dass sie auch alle Helme mit Eisernen Kreuzen anhaben. So etwas verbindet natürlich.
Gott sei Dank haben die Rocker aber bereits ein Maskottchen, und zwar einen verwesten Embryo mit roten Augen und Stahlhelm, den sie als Stickerei hinten auf ihrer Kutte tragen, deswegen dürfen wir Rashid nach dem Foto wiederhaben, und ein Sixpack Amstel gibt es noch dazu.
»Wir finden das gut, was ihr macht«, sagt der Chef noch zum Abschied und klopft Rashid auf den Helm. Sarah sagt: »Wir finden auch gut, was ihr macht«, obwohl sie nicht aussieht, als ob sie da ganz sicher ist.
Mittlerweile ist es halb zwei und wir stehen vor dem Zelt, in dem seit einer halben Stunde Dimmu Borgir spielen sollte. Mit uns stehen einige Tausend Freunde des Black Metal auf dem schattenlosen Platz und warten. Im strahlenden Sonnenschein sehen die schwarzgekleideten Gestalten allerdings ziemlich deplatziert aus, manche weinen sogar, entweder weil ihnen die zerlaufene Corpse Paint in den Augen brennt oder weil sie von einem Behinderten im Hawaiihemd ausgelacht werden.
Rashid kriegt sich gar nicht mehr ein, und immer, wenn ein besonders furchteinflößender Geselle in sein Blickfeld tritt, kiekst er begeistert und lautstark los, so dass wir bald auf sehr ungute Weise die Hauptattraktion des Festivals darstellen, obwohl Dimmu Borgir drinnen längst angefangen hat. Immer dichter werden die Reihen um uns herum, immer drohender die Blicke, nur Rashid mag den Ernst der Lage nicht erkennen und gackert unbekümmert weiter.
Und obwohl wir uns bedroht fühlen wie eine norwegische Holzkirche in der Walpurgisnacht, versuchen wir dennoch, die schwarzen Massen einzuschüchtern. »Vorsicht, wir sind Sozialpädagogen«, behauptet Sarah, das ist zwar glatt gelogen, schindet aber natürlich mächtig Eindruck.
»Ach«, spricht da etwa ein finsterer Höhlentroll mit hessischem Zungenschlag, »das will ich auch studieren«, und ruft zur Bildung eines Arbeitskreises »Satanistische Behindertenarbeit« auf.
Leider wird er von den zivilisatorisch weniger versierten Vertretern seiner Zunft alsbald mundtot gemacht, so dass unser Projekt »Therapeutisches Rocken« in eine weitere kritische Phase eintritt, bis es von den bereits erwähnten niederländischen Rockern heldenkühn gerettet wird.
Mit ihren fantastischen Bierbäuchen wuppen sie gewandt eine Schneise in die großteils ausgemergelte Meute der Freunde des Black Metal und konstatieren anschließend resolut, dass woandershin gegangen werden muss.
Das Woandershin sollte sich als ein für alle Beteiligten recht legendärer Auftritt der Herren von »Monster Magnet« erweisen, in dessen Verlauf Rashid die Frage des niederländischen Rockerchefs, ob er gerne mal stagediven wolle, höchst unbedacht bejahen, seinen entsetzten Betreuern daraufhin widerrechtlich entwendet werden und von den Holländern einer Fuhre Mist gleich vom Bühnenrand über den Köpfen des durchaus nicht gut beleumundeten Publikums ausgeschüttet werden sollte, aber über diese Episode haben Sarah und ich strengstes Stillschweigen vereinbart, sie könnte uns die Approbation als Hilfspfleger kosten.
Rashid erzählt natürlich jedem, dass er bei Monster Magnet stagediven war, aber weil er vorher meist die Sache mit dem Harem erzählt, glaubt ihm keiner.
17 »Was will der hier?«, ruft Musa und schaut Tante Matthes böse an. Das kann er gut, weil er nur eine Augenbraue hat, die wie ein schwarzer Pelzbesatz auf seinen Stirnwülsten klebt und über der Nasenwurzel zusammengewachsen ist.
»Das ist mein Geschäftspartner«, antworte ich, aber das besänftigt Musa auch nicht gerade.
Im Gegenteil. Er regt sich
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