Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
krümele koscheren Matzen auf den Boden, die man uns als »kleinen Gruß aus Israel« serviert hat. Es ist ein staubiges und trockenes Land, aber das hätte ich auch ohne Knäckebrotmetapher gewusst. Zusätzlich werde ich heimlich von einer Amelie beobachtet, die mir gegenübersitzt.
Amelie trägt mit großem Ernst eine schwarze Heiner-Müller-Brille zu einer Schnittlauchfrisur und hält sich demonstrativ ein Buch von Amos Oz über den Palästina-Konflikt vor die Nase. Allerdings sollte sie zwischendurch mal umblättern, damit ihre Leseperformance überzeugender wirkt, aber dazu ist sie viel zu aufgeregt. Stattdessen wippt sie fortwährend mit dem Knie.
Amelie habe ich schon vor der Tür kennengelernt, als ich mit »Na, auch zum Kibbuz?« ein wenig Konversation machen wollte, worauf sie mir ein druckreifes Referat über die fundamentalen Unterschiede zwischen traditionellen Kibbuzim, denn das ist laut Amelie der korrekte Plural, und dem internationalen Freiwilligenprojekt in Aschkelon heruntergerattert hat, dessen unmittelbar bevorstehende Bewerbungsrunde Amelies linkes Knie wie eine Nähmaschine rattern lässt.
Neben ihr sitzen zwei Jungs in unterschiedlich cremefarbenen Rollkragenpullovern unter braunen Cordjacketts und diskutieren über Zionismus, während Amelie immer blasser wird und dann hinausrennt.
Zionismus ist nämlich ihre Achillesferse, hat sie mir vorhin gestanden, sie sei da zu keiner eindeutigen Haltung fähig, und je mehr sie darüber gelesen habe, desto schlimmer sei es geworden, man müsse doch auch die Position der Araber bedenken, hat sie mit echter Verzweiflung gesagt, wollte dann wissen, ob das jetzt schlimm für ihre Bewerbung sei und wo ich mich in diesem Zusammenhang verorte. Ich habe aber bloß einen Witz aus dem Buch erzählen können, Amelie fand mich trotzdem ziemlich abgeklärt und ich musste ihr insgeheim Recht geben.
Amelie hat gerade vor Aufregung in den Rinnsteig gekotzt und zittert am ganzen Körper. Ich warte ein bisschen hinter der Tür, bis sie sich beruhigt und eine Handvoll Pfefferminzdrops in den Mund geworfen und schnaufend zerkaut hat, dann gehe ich raus, biete ihr eine Zigarette an und erkläre, dass sie sich keinen Kopf um den Zionismus machen soll. Sie würde sich ja nicht als Staatspräsident bewerben, sondern eher als unterbezahlter Schweinehirte.
»Schweine sind eher unwahrscheinlich«, gibt sie zu bedenken und hat damit zweifellos Recht.
Um sie aufzumuntern, gebe ich zu, dass ich weder sprachbegabt noch interkulturell oder handwerklich geschickt bin und meine Erfahrungen mit Tieren auch eher ungut verlaufen sind, jedenfalls für die Meerschweinchen meiner Schwester.
Amelie muss lächeln: »Was willst du dann im Kibbuz?«
»Freiwilligenprojekt«, zitiere ich sie. »Es ist kein Kibbuz, es ist ein weltanschaulich neutrales Projekt für internationale Volunteers. Hab ich gehört.«
Sie muss schon wieder grinsen und hört auf zu zittern.
»Ich bin verliebt und reise einer Frau nach, die dahin will.«
»Ist sie das wert?«
»Kann man sich das aussuchen?«
Amelie schüttelt den Kopf und schaut mich an.
Sie ist schon wieder beeindruckt. Ich bin auch beeindruckt. Das war ein filmreifer Dialog. Wir rauchen schweigend unsere Zigaretten, während ich darüber nachdenke, warum ich nur Eindruck auf Mädchen mache, von denen ich garantiert nichts will, und Amelie noch mal ihre Präsentation durchgeht. Wir werden nämlich gleich in einer Vorstellungsrunde Argumente vorbringen müssen, warum wir für die Stelle geeignet sind. Das hat Amelie mir gesteckt, weil sie natürlich die Prüfungsunterlagen gelesen hat. Ich sollte mir vermutlich Sorgen machen, habe aber einfach kein Talent dafür. Oder andere Sorgen.
Sie heisst Noa und ist gleichzeitig Friedensaktivistin und Leutnant der Reserve bei den Israel Defence Forces. Hat sie gerade erklärt. Aber dieser schöne Nebenwiderspruch ist niemandem aufgefallen, weil alle vollauf mit Noa-Angucken beschäftigt sind, die ist nämlich noch schöner.
Amelie bekommt schon wieder rote Flecken im Gesicht, und von der intellektuellen Selbstsicherheit der beiden Jungs ist auch nicht mehr viel übrig. Sie rutschen auf ihren Stühlen herum und schauen fassungslos die zierliche Frau mit den dunkelbraunen Locken an, die uns gerade zum Verhör abgeholt hat.
Eigentlich hat sie uns bloß nett hereingebeten, Kaffee angeboten und uns gebeten, die ganze Angelegenheit als zwangloses Gespräch anzusehen. Sie freue sich wirklich sehr, uns
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