Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
Stufenfahrt vor einem Jahr einen betrunkenen Hain geschändet habe, was von israelischer Seite als Terrorismus aufgefasst, von palästinensischer Seite hingegen zwar prinzipiell als Gewohnheitsrecht bzw. günstige Gelegenheit interpretiert, im speziellen Fall aber energisch bestritten werde.
Wir nicken beide. Genau so war’s.
Noa guckt ratlos, befindet unseren Auftritt dann aber für »interessant« und bittet uns zurück auf unsere Plätze. Wir sind aber noch lange nicht fertig miteinander.
Steffen beschließt, den Disput körperlich weiterzuführen, vermutlich hat er Angst, sich wieder in unpassenden sprachlichen Bildern zu verheddern, und deswegen versucht er es mit einer Kopfnuss, die mich gänzlich unvorbereitet trifft. Wir knallen mit den Stirnen zusammen und halten uns anschließend beide die Schädel.
Amelie wird später sagen, dass es die albernste Schlägerei gewesen sei, die sie je gesehen habe, und weil ich mich nicht wirklich gut erinnern kann, muss ich mich auf ihre Rekonstruktion verlassen, wenn die Affäre auch insgesamt heroischer gewirkt haben mag.
Gewalt ist die Zuflucht der Schwachen, sagt man ja immer. Ich habe das schon in der Grundschule gelernt und dieses Basiswissen in Sozialkunde und Konfirmandenunterricht regelmäßig auffrischen lassen, aber es blieb doch eine theoretische Annahme, weil mir die angebliche Zuflucht der Schwachen mangels Gelegenheit und Temperament bisher unbetretbar schien, jedenfalls bis ich Steffen kennenlernte.
Ich erinnere mich bloß noch, in Erwägung gezogen zu haben, mit der Faust zurückzuschlagen, weil man das im Allgemeinen wohl so macht, konnte mich aber wegen dieser verdammten Empathie nicht dazu durchringen. Das muss doch höllisch wehtun, fiel mir ein, außerdem bricht er sich dann was im Gesicht, die Nase oder das Jochbein.
»Ist das Jochbein eigentlich im Gesicht?«, habe ich dann Steffen gefragt, weil ich es wirklich nicht wusste. Seines Wissens sei das Jochbein Teil des Ellenbogens, mutmaßte Steffen und wollte wissen, was das jetzt zur Sache tue.
Er hat sich aber geirrt, weiß ich heute, weil ich es danach zu Hause nachgeschlagen habe. Das Jochbein befindet sich seitlich der Augen, ich dagegen habe ihn knapp unter dem Stirnbein erwischt. Schon wieder.
Mit der halb geöffneten Faust, als Kompromiss gewissermaßen, habe ich ihm direkt auf das linke Auge gehauen, weil ich Angst hatte, die Nase zu erwischen. »Direkt auf die Zwölf«, wie es Amelie in der Nachbereitung ausführte.
Eigentlich gar nicht schlecht fürs erste Mal, wurde mir später von Amelie bestätigt, aber Steffen blieb stehen, taumelte nicht einmal, sondern schaute mich bloß erstaunt an, bis er sich in Zeitlupe an das zuschwellende Auge griff.
Ich muss wohl genauso stier herumgestanden haben, erinnere mich aber bloß, höchst verdattert »Entschuldigung« gemurmelt und meinem Gegner ein Taschentuch gereicht zu haben, worauf dieser wiederum zum Gegenangriff überging, mich umständlich in den Schwitzkasten zu nehmen versuchte, den ich jedoch zu parieren wusste, so dass wir uns in einem etwas robust getanzten Klammerblues wiederfanden, dem uns Amelie schließlich heldenkühn entwand.
Amelie, stellte sich heraus, macht seit ihrem zehnten Lebensjahr Kampfsport, ihre Eltern haben sie damals angemeldet, weil es um ihr Selbstbewusstsein nicht so gut bestellt war. Und weil Amelie alles, was sie tut, mit großer Gewissenhaftigkeit macht, hat sie zwar immer noch kein Selbstbewusstsein, aber einen Haufen schwarzer Gürtel zu Hause und brachte uns beide mit einem Handgriff zu Boden, was ihr erstens die uneingeschränkte Anerkennung und Sympathie Noas und in der Folge natürlich auch den letzten freien Platz im isrealischen Freiwilligenprojekt einbrachte.
Ich habe eine Ansichtskarte, die das bezeugen kann: »Mein Leben begann mit euch«, schreibt Amelie, die heute eine florierende Agentur für Personenschutz in Tel Aviv betreibt. »Vorher war ich bloß ein verschrecktes Ding mit Schnittlauchhaaren.«
Wir, Steffen und ich, sollten erst mal unsere eigenen Probleme klären, sagt Noa zum Abschied. Dann schmeißt sie uns raus.
3 Der Fluss schwappt träge herum und hat Mundgeruch. Den hat er zu dieser Jahreszeit immer, weil der Wasserspiegel fällt und am Ufer einen Saum öligen Schlicks hinterlässt, der mit jeder Welle aufgewühlt wird, die sich zwischen den steinernen Kribben aus Wackersteinen bricht. Es ist kurz vor drei, die Morgenröte schickt einen schwachen Schein über den Horizont,
Weitere Kostenlose Bücher