Betreutes Wohnen: Ein WG-Roman (German Edition)
kennenzulernen, hat sie mehrmals betont.
Unter normalen Umständen würde ich mich in Gegenwart einer Frau wie Noa umstandslos zum Affen machen oder kein Wort herausbringen, und zwar abwechselnd, aber meine Aufmerksamkeit wird von einem anderen Problem beansprucht. Noa hat noch einen Bewerber mitgebracht.
Steffen. Riekes Freund.
Er steht in der Tür und starrt mich an. Das kann ich ihm zwar nicht verdenken, starre aber trotzdem feindselig zurück. Noa bietet Steffen einen Platz an und wir starren im Sitzen weiter. Eigentlich sollten wir uns sofort unsere Stühle unter dem Arsch wegreißen und damit aufeinander einprügeln, bis einer von uns tot umfällt. Dann hätten wir es endlich hinter uns. Allerdings habe ich das alte Hausmittel Gewalt schon einmal zu verabreichen versucht, und so richtig angeschlagen hat es ja nicht.
Und deswegen schauen wir uns brav die Bilder des Projektdorfes an, die Noa in ihrem hinreißenden Akzent erläutert. Es ist eigentlich ein scheunentorbreiter amerikanischer Akzent, weil Noa im Mittleren Westen aufgewachsen ist, aber aus ihrem Mund klingt er trotzdem elegant. Deutsch hat sie auf dem College gelernt, bevor sie in Israel Geschichte studiert hat und zur Armee gegangen ist, dann ist sie nach Deutschland, um in Berlin über die Shoah zu forschen und für das Projektdorf zu arbeiten.
So ein Leben kann man also auch führen, denke ich. Man kann in die Welt hinausgehen und sinnvolle oder wenigstens aufregende Dinge tun. Heute wäre ein guter Tag, um damit anzufangen. Schade, dass ich überhaupt nicht vorbereitet bin.
Ich bin sozusagen der Verbindungsoffizier hier in Deutschland, sagt Noa gerade lachend, täuscht einen militärischen Gruß an und beinahe wären wir alle hackenschlagend aufgesprungen, aber wegen der jüngeren deutschen Geschichte lassen wir das lieber. Außerdem war es nur ein Witz. Eine kleine Auflockerung ihrerseits, um das Eis zu brechen.
Stattdessen nicken wir beeindruckt und man kann sehen, wie unsere Gymnasiastenhirne heißlaufen, weil wir an einem abrufbereiten Statement zum Holocaust feilen, falls wir danach gefragt werden. Es darf weder zu abgedroschen klingen noch zu salopp formuliert sein, immerhin muss es eine polyglotte, extrem attraktive Israelin mit militärischer Erfahrung und akademischen Weihen beeindrucken, die außerdem darauf Wert legt, uns auf Augenhöhe zu begegnen.
Ich würde mich auch gerne für das Projekt interessieren, kann aber nicht, weil ich Steffen böse anstarren muss. Und während auf der Leinwand Bilder von Obsthainen, Bungalows, Werkstätten, Schwimmbädern und glücklichen, schönen Menschen die Geschichte eines handgemachten Paradieses in der Wüste erzählen, schielen wir uns blöd und brünftig aus den Augenwinkeln an wie zwei spermageflutete Jungbullen.
Steffen sieht total verwohnt aus, und das kann nicht allein an mir liegen. Meine Theorie geht so: Rieke hat ihren Plan, in Kürze ohne ihn den Kontinent zu wechseln, taktvoll verschwiegen, bis sie es versehentlich Anne verraten hat, und da hätte sie es auch gleich mit dem Megafon in die Fußgängerzone brüllen können.
Jetzt bewirbt sich Steffen genau wie ich Hals über Kopf in der letzten Runde. Jedem anderen würde ich Glück wünschen, immerhin sitzen wir im selben Boot. Blöderweise gibt es nur einen Sitzplatz und den beansprucht ausgerechnet die nimmermüde Nemesis seiner ohnehin nicht grundsoliden Beziehung.
Ich an seiner Stelle würde total ausflippen, und wenn ich mir seine mahlenden Kiefer und die im Schoß geballten Fäuste mit den weiß blinkenden Knöcheln so anschaue, ist genau das nurmehr eine Frage der Zeit.
Umso besser. Das wird seine Chancen hier nicht gerade steigern.
Aber Noa zeigt auf mich. Ich soll mit der Vorstellungsrunde beginnen, befiehlt die Frau Leutnant, aber ich verschlucke mich lieber kunstvoll an einem der Pfefferminzdrops von Amelie und führe einen formvollendeten Hustenanfall auf, so dass Noa schließlich Steffen bitten muss, zu beginnen. Ich röchele noch ein wenig herum, bis Steffen endlich angefangen und Noa mir ein Glas Wasser gereicht hat.
»Entschuldigung«, sage ich und sende ein verlegenes Lächeln in die Runde. Steffen wird knallrot, aber vor Wut und nicht etwa, weil er aufgeregt ist, wie Noa vermutet.
»Stell dir einfach vor, du sitzt mit guten Freunden zusammen«, sagt sie deshalb. Steffens Gesichtsfarbe wechselt vom Knall- ins Karmesinrote und sein Blick, der nach wie vor auf mir liegt, von ordinärer Wut in hochprozentigen,
Weitere Kostenlose Bücher