Betrug und Selbstbetrug
mechanistischen Abläufe beschreiben können, dann vielleicht die psychologischen: Welche psychologischen Prozesse also befördern unsere Selbsttäuschung? 1 Wir streben nach Information und wir zerstören sie, aber wann tun wir was, und wie tun wir es? Um eine Antwort auf solche Fragen zu finden, müssen wir den Informationsfluss vom Augenblick seines Eintreffens bis zu dem Zeitpunkt verfolgen, da er uns wieder verlässt, das heißt, da er anderen präsentiert wird. In jedem Stadium – vom verzerrten Eintreffen der Information über ihre verzerrte Codierung, ihre der Logik widersprechende Organisation bis hin zu ihrer falschen Erinnerung und später ihrer falschen Darstellung gegenüber anderen – arbeitet der Geist ständig daran, den Informationsfluss so zu verzerren, dass man besser erscheint, als man wirklich ist – wohlwirksam für andere zum Beispiel. Die falsche Darstellung des Ich gegenüber anderen ist vermutlich die wichtigste Triebkraft hinter der falschen Darstellung des Ich gegenüber dem Ich. Dabei geht es bei weitem nicht nur um einfache Rechenfehler, um die Probleme kleinerer Stichproben aus größeren Stichproben oder ein gültiges System der Logik, das gelegentlich in die falsche Richtung läuft. Es handelt sich vielmehr um Selbsttäuschung, eine Reihe von Verzerrungsvorgängen, die sich auf alle Aspekte des Informationserwerbs und der Informationsanalyse auswirken. Es bedeutet die systematische Deformation der Wahrheit in allen Stadien des psychologischen Prozesses. Das ist der Grund, warum Psychologie sich sowohl mit Informationserwerb und -analyse als auch mit dem ständigen Abbau und der Zerstörung von Informationen beschäftigt.
Es lohnt sich, von vornherein auf eine wichtige Tatsache hinzuweisen. Selbsttäuschung setzt nicht voraus, dass die Wahrheit und Falschheit einer Aussage gleichzeitig gespeichert werden – wie in unserem Beispiel der Stimmenerkennung (Kapitel 3 ). Unter Umständen wird nur die Falschheit gespeichert. Wie wir am Beispiel der altersbedingten Voreingenommenheit für Positives (Kapitel 6 ) erfahren haben, wird die Wahrheit umso weniger gespeichert, je früher die Informationen beiseitegeschoben – oder sogar völlig vermieden – wird, und entsprechend weniger muss später (potentiell aufwendig) unterdrückt werden. Da weniger Information gespeichert wird, ist das vollständige Ignorieren potentiell mit höheren Kosten verbunden. Je mehr Zeit nach dem Informationserwerb verstreicht, desto subtiler und komplizierter sollte die Entscheidung zwischen Unterdrückung und Beibehaltung der Wahrheit werden. Die Frage, wie solche widersprüchlichen Kräfte sich im Einzelnen im Laufe der Zeit entfalten, ist ein völlig unbearbeitetes Feld, dessen Erkundung höchst aufschlussreich werden wird.
Im Folgenden möchte ich zunächst einen Überblick über die Verzerrungen geben, die während der Informationsverarbeitung stattfinden. Es ist bei weitem keine erschöpfende Beschreibung, sondern eher ein impressionistischer Eindruck davon, auf welche Weise verschiedene psychologische Prozesse eine Täuschungsfunktion begünstigen. Dazu können auch Voreingenommenheiten bei der Voraussage zukünftiger Gefühle gehören. Besonders wichtig ist dabei, wie Leugnung, Projektion und kognitive Dissonanz die Täuschung und Selbsttäuschung prägen.
Vermeidung bestimmter Informationen und
das Streben nach anderen
Sosehr wir auch für die Gedankenfreiheit eintreten, in Wirklichkeit verbringen wir einen großen Teil unserer Zeit damit, den Input zu zensieren. Wir suchen nach Meinungen, die unsere bisherigen Ansichten widerspiegeln oder stützen, und meiden oft Publikationen, bei denen das nicht der Fall ist. Wenn ich einen Artikel sehe, der über den angeblichen gesundheitlichen Nutzen von Marihuana berichtet, so werde ich ihn mit Sicherheit aufmerksam lesen; ein Artikel über seine gesundheitlichen Gefahren ist mir im besten Fall einen kurzen Blick wert. Was den Tabak angeht, so kümmert kaum etwas mich weniger. Die wissenschaftlichen Tatsachen wurden schon vor Jahrzehnten festgeklopft, und meine letzte Zigarette ist Jahre her. Diese einseitige Aufmerksamkeit dient also sowohl der unmittelbaren Anpassung – ich rauche Marihuana, also interessiere ich mich für seine Wirkungen – als auch der Selbsttäuschung: Ich hebe das Positive hervor und lasse das Negative außer Acht, um mein Verhalten angesichts der offenkundigen Prüfung durch mich und andere besser verteidigen zu
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