Betrug und Selbstbetrug
auf die vorbewusste Verarbeitung visueller Reize erstrecken und so mit darüber bestimmen, was das Sehsystem der bewussten Wahrnehmung präsentiert. Ähnliche Untersuchungen hat man mittlerweile auch mit Farben angestellt.
Das Entscheidende dabei: Unsere Wahrnehmungssysteme sind so eingerichtet, dass sie sich sehr schnell in Richtung bevorzugter Informationen orientieren – in diesem Fall hin zu Zeichen, die mit einer Belohnung assoziiert wurden. Das allein hat noch nichts mit Täuschung und Selbsttäuschung zu tun – es bringt häufig unmittelbaren Nutzen. Aber das gleiche einseitige Schnellverfahren steht uns auch zur Verfügung, wenn wir die Information nur deshalb begünstigen, weil sie unser Selbstbewusstsein stärkt oder unsere Fähigkeit, andere hinters Licht zu führen. Es gibt im Dienst der Selbsttäuschung kaum eine mächtigere Kraft als die persönlichen Phantasien; wenn sie geweckt werden, kann man also damit rechnen, dass die selektive Aufmerksamkeit besonders ausgeprägt ist.
Ein ähnlicher Effekt wurde schon vor 60 Jahren nachgewiesen: Wenn hungrige Kinder eine Münze zeichnen sollen, zeichnen sie die Münze größer. Instrumente, mit denen sich Befriedigung erreichen lässt (mit Geld kann man etwas zu essen kaufen), sind attraktiver und werden als größer wahrgenommen. Dies bestätigte sich auch in jüngerer Zeit: Ein Glas wirkt größer, wenn wir Durst haben und insbesondere wenn wir diesem Durst unsere Aufmerksamkeit schenken; selbst Gartengeräte scheinen größer zu sein, wenn Gartenarbeit im Unterbewusstsein mit der Vorstellung verknüpft ist, dass sie Spaß macht.
Solche anfänglichen Voreingenommenheiten haben überraschend starke Auswirkungen. In einem Experiment wurden die Versuchspersonen in einer Gruppe zunächst daraufhin ausgewählt, ob sie überzeugte Befürworter oder Gegner der Todesstrafe waren. Dann präsentierte man ihnen eine bunte Mischung von Tatsachen, die beide Positionen stützten. Das schweißte die Gruppe nicht zusammen, sondern spaltete sie noch stärker. Wer zuvor bereits die Todesstrafe abgelehnt hatte, verfügte jetzt über neue Argumente, für die Befürworter galt das Gleiche. Der ganze Prozess wurde durch einseitige Interpretationen vorangetrieben. Die Verfechter der Todesstrafe erkannten Argumente, die für ihre Haltung sprachen, als stichhaltig an und lehnten Argumente der Gegenseite als unbegründet ab. Wie zuvor waren Gedanken der Selbstbestätigung mit diesem Verhalten negativ assoziiert – wenn du von dir selbst mehr hältst, praktizierst du weniger Selbsttäuschung. Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung: Selbsttäuschung ist eine Kraft, die Menschen – insbesondere Freunde, Geliebte oder Nachbarn – häufig auseinander treibt; angesichts bestimmter gemeinschaftlicher Ziele wie beispielsweise eines Krieges jedoch kann kollektive Selbsttäuschung auch eine einzigartige Kraft für den Zusammenhalt der Menschen darstellen.
Einseitige Erinnerungen
Auch viele Erinnerungsprozesse können so verzerrt werden, dass sie erwünschte Ergebnisse liefern. Wir erinnern uns leichter an positive Informationen über uns selbst und vergessen die negativen, oder wir verwandeln sie im Laufe der Zeit so, dass sie neutral oder sogar positiv sind. 4 Schon unterschiedliche Wiedergaben – beispielsweise, wenn wir anderen davon erzählen – können diesen Effekt hervorrufen, ein Beispiel für Selbsttäuschung am Ende des Erinnerungsprozesses, die dann frühere Vorgänge beeinflusst. Einander ergänzende, einseitige Erinnerungen können in die gleiche Richtung wirken. Wenn man Menschen bestimmte Fähigkeiten beibringt, glauben sie später, diese Fähigkeiten seien vor Beginn des Unterrichts schlechter gewesen, als es ihrer Einschätzung zu jener Zeit entsprach; vermutlich soll damit eine Illusion des Fortschritts geschaffen werden. Auch erinnern sie sich an die tatsächliche Leistung nach dem Unterricht falsch und halten sie für besser, als sie wirklich war, was vermutlich der gleichen Täuschung dient. Wir produzieren also durch eine Folge einseitiger Erinnerungen eine widerspruchsfreie Reihe von Voreingenommenheiten zu unseren eigenen Gunsten.
Erinnerungen werden ständig auf egoistische Weise verzerrt. Männer wie Frauen glauben, sie hätten weniger Sexualpartner und mit jedem einzelnen davon mehr Sex gehabt, als es der Wahrheit entspricht. Ebenso glauben Menschen, sie hätten gewählt, obwohl sie ihre Stimme nicht abgegeben haben, oder sie hätten für eine
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