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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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inneren Widersprüche auf, und das ist genau der Grund, warum allgemeingültige Prinzipien von ihrem Wesen her der Selbsttäuschung entgegenarbeiten.
    Andere Lehren richten sich nicht so ausdrücklich gegen die Selbsttäuschung, sondern kritisieren sie implizit. Ein Beispiel, in dem es um die Voreingenommenheit gegenüber Gruppenfremden geht, ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (der eigentlich ein barmherziger Araber oder Palästinenser ist): Ein Jude nach dem anderen geht an dem schlimm verwundeten Mitjuden vorüber. Erst ein Außenstehender, ein Araber, ein Samariter kümmert sich um die Bedürfnisse des Leidenden, verbindet seine Wunden, gibt ihm Wasser und etwas zu essen und sucht für ihn eine sichere Unterkunft. Wer ist hier die bewundernswerte Person: das herzlose Gruppenmitglied oder der ansonsten verhasste Außenstehende? Oder wie steht es mit Nikodemus, dem Mann, der in der Nacht kam? Gerade seine Bereitschaft, nachts und außer Sichtweite der anderen mit Jesus zusammenzutreffen, lässt ihn als Heuchler erscheinen: Später forderte er zwar, dass Jesus ein faires Verfahren bekommen solle, hüllte sich dann aber in Schweigen, und half nach Jesus’ Tod bei der Einbalsamierung der Leiche.
    Interessante Aspekte im Hinblick auf die Selbsttäuschung finden sich auch im Aufbau des Vaterunser. Dieses kurze Gebet gliedert sich in drei Teile, wobei der erste eine Beteuerung der Demut ist: »Geheiligt werde dein Name« und »dein Wille geschehe«. Wenn ich auf einem Flughafen lande, bete ich oft »dein Wille geschehe« in der Hoffnung, dass dieser Wille nicht besagt, das Flugzeug solle bei der Landung auf dem Kopf stehen; aber wenn es so ist, geschieht dein Wille. Mit anderen Worten: Finden wir uns damit ab, dass es einen größeren Plan als den unseren gibt, und versuchen wir nicht, diesen Plan durch persönliche Bitten zu verändern. Lasst uns demütig unser eigenes Interesse dem größeren Plan unterordnen. Und wenn das Flugzeug sich auf den Kopf stellt, stellt es sich ohnehin auf den Kopf; wir können nur beten, dass wir bei der Ankunft die Ruhe bewahren.
    Der zweite Teil des Gebets hat ein interessantes Merkmal: Wir dürfen uns nur zwei Sachen erbitten, und eine davon ist an eine Bedingung geknüpft. Es ist uns erlaubt, um ein Almosen zu bitten, das jedes Lebewesen braucht: das tägliche Brot. Und dann dürfen wir darum bitten, dass uns unsere Sünden vergeben werden, aber nur soweit wir auch anderen ihre Sünden verzeihen. Das ist ein entscheidender Punkt: keine Blanko-Amnestie. Um etwas zu erhalten, müssen wir geben; wir müssen vergeben, damit uns vergeben wird. Damit gehen wir eine psychologische Verpflichtung ein, die unsere Selbsttäuschung sofort vermindern dürfte.
    Dann folgt der letzte Teil. Hier bitten wir darum, nicht in Versuchung geführt zu werden – eigentlich eine Aufforderung an uns selbst, uns nicht in Versuchung führen zu lassen –, und wir bitten um Schutz vor allem Bösen (einschließlich des von uns selbst hervorgerufenen). Fürbitten haben hier keinen Platz. Kein »und möge der Präsident weiterhin kluge Entscheidungen treffen und möge Gott Amerika segnen«, wie man es in den Kirchen der USA so häufig hört (oder, noch absurder, mit den Worten von George W. Bush: »Möge Gott Amerika weiterhin segnen«, als habe sich eine Verpflichtung entwickelt). Dass so viele christliche Prediger sonntags vergessen, wie Jesus uns zu beten gelehrt hat, wäre wahrhaft erstaunlich, gäbe es nicht die Kraft der Täuschung und Selbsttäuschung.
    Manchmal ist die gegen Selbsttäuschung gerichtete Lehre nur eine Metapher. Im 27 . Psalm sagt David: »Mein Herz hält dir vor dein Wort: ›Ihr sollt mein Antlitz suchen.‹ Darum suche ich auch, o Herr, dein Antlitz.« Man kann sich schwer vorstellen, dass man Gott gerade ins Gesicht sieht und dabei lügt – gegenüber Gott oder sich selbst.
    Sucht man im Islam nach einer Parallele, so stößt man im sufistischen Denken auf eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Dschihad (Kampf) gegen die Außenwelt, der als kleiner Dschihad bezeichnet wird, und dem größeren Dschihad, den man mit sich selbst ausficht. Der kleine Dschihad ist relativ einfach: Man kämpft im Rahmen einer Gruppe gegen Außenstehende, um sie zu bekehren. Im Extremfall werden entweder sie getötet oder man selbst, und dann fährt man gen Himmel. Kein großes Problem. Viel schwieriger ist der Kampf gegen sich selbst, denn göttliche Erleuchtung erlangt nur, wer seinen Körper

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