Betrug und Selbstbetrug
Übergang zwischen Gruppen und innerhalb jüdischer Gruppen: Shahak 1994 .
13 Wirkung von Fürbittengebeten: Benson et al. 2006 .
14 Unterstützung von Selbstmordanschlägen: Ginges et al. 2009 .
Kapitel 13
Selbsttäuschung und die Struktur der Sozialwissenschaften
Unser Wissen hat eine Struktur. Nehmen wir beispielsweise die Naturwissenschaften mit ihren verschiedenen Fachgebieten: Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Psychologie und andere. Oder Geschichtsforschung, Philosophie und Philologie. Oder Literatur, Biographie und Dichtung. Wie wirken sich Prozesse der Selbsttäuschung auf die Struktur des Wissens aus? Mit der Geschichtsforschung haben wir uns bereits beschäftigt; hier möchte ich mich auf die Gesellschaftsbiologie sowie auf die Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Kulturanthropologie und Psychologie konzentrieren. Wenn wir von dem ausgehen, was wir jetzt immer wieder erfahren haben, dass nämlich Selbsttäuschung die kognitiven Funktionen bei einzelnen Menschen verzerrt – beispielsweise bei Piloten, staatlichen Behörden, Kriegsplanern und so weiter –, müssen wir dann nicht annehmen, dass auch die Systeme unseres Wissens selbst auf ähnlich systematische Weise verformt werden?
Natürlich kann ich nicht so tun, als würde ich über dieses ungeheuer weit gefasste Thema – unser gesamtes Wissen als solches – einen Überblick geben, aber einige Punkte erscheinen mir besonders wichtig. Erstens rechnen wir damit, dass Wissen umso stärker verzerrt wird, je mehr dies für die Mächtigen von Vorteil ist. Wenn man sich darum bemüht, ein Geschoss genauer zu lenken oder Informationen schneller zu übermitteln, kann man nicht auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse verzichten, die sich auf eine Reihe immer raffinierterer, erbarmungsloser Mechanismen zur Bekämpfung von Täuschung und Selbsttäuschung stützen. Wahrscheinlich erklärt das zumindest teilweise den ungeheuren Erfolg der Naturwissenschaften. Zweitens scheint mir auch etwas anderes ausgemachte Sache zu sein: Je stärker der gesellschaftliche Bezug eines Fachgebiets ist, desto größer werden die Verzerrungen aufgrund von Selbsttäuschung und desto stärker hinkt das Fachgebiet den weniger gesellschaftlich ausgerichteten Disziplinen hinterher. Möglicherweise verhindert die innere Komplexität gesellschaftlicher Phänomene tatsächlich einen schnellen wissenschaftlichen Fortschritt, aber auch die moderne Physik ist ungeheuer komplex, und ihre Befunde wurden mit Verfahren gewonnen, die relativ wenig durch Selbsttäuschung behindert werden. In der Geschichtsforschung besteht offenbar ein Konflikt zwischen wenigen ehrlichen Historikern, die sich um ein wahrhaftiges Bild der Vergangenheit bemühen, und der größeren Zahl jener, denen es vorwiegend darum geht, ein positives, optimistisches Bild der Vergangenheit ihrer Gruppe zu zeichnen – also kurz gesagt, eine falsche historische Darstellung zu konstruieren.
In den Sozialwissenschaften besteht die Möglichkeit, dass ein früherer moralischer Standpunkt zu einem Thema die Entwicklung der zugehörigen Theorien und Kenntnisse beeinflusst, so dass in einem gewissen Sinn die Gerechtigkeit der Wahrheit (und falsche Gerechtigkeit der Unwahrheit) vorausgeht. Mit diesem Thema wollen wir beginnen.
Vorrang der Gerechtigkeit vor der Wahrheit?
In der Wissenschaft herrscht üblicherweise die Annahme, wir würden eine Theorie der Gerechtigkeit aus unserer größeren Theorie der Wahrheit ableiten. Wie sieht es aber aus, wenn unsere bereits vorhandene Haltung gegenüber der Gerechtigkeit unsere Suche nach der Wahrheit behindert? Eine unbewusste Voreingenommenheit zugunsten eines ungerechten Standpunktes beispielsweise wird kognitive Verzerrungen begünstigen, die diesen Standpunkt untermauern. Dann ist die »Wahrheit«, die man über die Gerechtigkeit einer Situation formuliert, durch die vorherige Bindung an eine ungerechte Position verzerrt. Ungerechtigkeit verführt also zu Selbsttäuschung, mangelndem Bewusstsein und der Unfähigkeit, die Realität wahrzunehmen; Gerechtigkeit dagegen hat den umgekehrten Effekt. Unter Umständen hat dies tiefgreifende Wirkungen auf unser Leben. Wir können folglich eine Sozialtheorie – im Kleinen über Ehe, Familie und Arbeitsplatz, im Großen über Gesellschaft, Kriege und so weiter – konstruieren und glauben, wir seien objektiv der Wahrheit auf der Spur, obwohl wir in Wirklichkeit nur unsere Voreingenommenheiten konkretisieren. Man kann also
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