Betrug und Selbstbetrug
Außenstehenden. Diese genetische Ähnlichkeit kann zwei schädliche Effekte haben. Einerseits werden relativ seltene Erbkrankheiten, die für ihre Ausprägung zwei Kopien des gleichen Gendefekts erfordern, häufiger (wie zum Beispiel die Sichelzellanämie oder das Tay-Sachs-Syndrom). Andererseits ist man weniger gut gegen Parasiten geschützt, weil die Verteidigung gegen sich coevolutionär entwickelnde Krankheitserreger positiv mit der genetischen Variabilität korreliert ist; damit wird die Paarung mit Außenstehenden zu einem genetischen Abwehrmechanismus.
Die zweite Form der Einwanderung ist die einfache Konversion (die zunächst nichts mit Eheschließung zu tun hat); was die entsprechenden Regeln betrifft, gibt es Unterschiede zwischen den Religionen. Das Christentum war im Allgemeinen eine Missionsreligion, die ständig und überall alle zu bekehren versuchte; für den Islam gilt das Gleiche. Sunniten und Schiiten sind vom Senegal bis zum Sudan und vom Libanon über Pakistan und Indien bis nach Indonesien verbreitet, wobei innerhalb der jeweiligen Gruppen überall ähnliche Gelegenheiten für die Paarung bestehen, während der Austausch zwischen beiden Gruppen begrenzt bleibt. Das Judentum betrieb, von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, keine Mission; Juden wurden aber häufig (beispielsweise in Spanien im 16 . Jahrhundert) zwangsbekehrt. 12
Religion predigt gegen die Selbsttäuschung
Die Lehren vieler Religionen richten sich entweder ausdrücklich oder unausgesprochen gegen die Selbsttäuschung. Häufig wird die Ansicht vertreten, Selbsttäuschung beeinträchtige nicht nur die Fähigkeit, sich selbst und andere kennenzulernen, sondern auch die wahre Kenntnis Gottes. Zum einen geht man davon aus, dass allgemeine Prinzipien nützlich und gültig sind. Was hier wahr ist, sollte auch dort wahr sein. Was auf dich zutrifft, sollte auch auf mich zutreffen. Schon diese Allgemeingültigkeit spricht gegen die üblichen Voreingenommenheiten der Täuschung und Selbsttäuschung. Wenn uns gesagt wird, wir sollten andere so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen, haben wir eine Regel, und wenn wir sie wirklich befolgen, arbeiten wir vielen unserer unbewussten Selbsttäuschungstendenzen, mit denen wir uns selbst gegenüber anderen bevorzugen, entgegen. Ähnliche allgemeine Regeln könnten die Selbsttäuschung noch weiter verringern. Wie wir bereits erfahren haben, wird die Allgemeingültigkeit dieser »allgemeinen« Prinzipien jedoch leicht durch Kräfte der Zersplitterung, der Unterscheidung zwischen Gruppenmitgliedern und Gruppenfremden sowie durch die Regeln der Mächtigen untergraben.
Die Religionen predigen aber auch ausdrücklich gegen die Selbsttäuschung. Ein Beispiel sind die berühmten Lehren Jesu, man solle nicht über andere richten (Matthäus 7 : 1 – 5 ):
Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge. Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.
Dies kann man unmittelbar in die Sprache der Selbsttäuschung übersetzen: Hüte dich vor Selbstgerechtigkeit, weil sie leicht zur Selbsttäuschung führt. Vielleicht projizierst du deine eigenen Fehler auf andere. Und hüte dich, damit du nicht nach den gleichen Kriterien gerichtet wirst, die du ihnen aufzwingst. Warum siehst du den kleinen Fehler bei deinen Nachbarn, aber nicht den großen bei dir selbst? Statt deinen eigenen Fehler zu leugnen und auf andere zu projizieren, gib ihn zu, damit du besser siehst, ob auch anderswo Fehler begangen werden. Ansonsten bist du ein Heuchler, denn du kritisierst den Falschen in der falschen Reihenfolge.
Ein weiteres Argument gegen die schnellen, ungerechten Urteile, die wir über andere fällen, steht in der Geschichte von Jesus und der Frau, die wegen Ehebruchs gesteinigt werden soll. Seine Reaktion? »Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« Der Geschichte zufolge verließen alle den Raum in umgekehrter Reihenfolge des Alters: die Ältesten – die die meisten Sünden begangen hatten – als Erste. In beiden Fällen deckt die Argumentation die
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