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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Trivers
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Aufteilung von Geld, die von einem anonymen Anderen kommen (und zum Beispiel dem Anbieter 80 Prozent und dem Empfänger 20 Prozent zusprechen), auch dann ab, wenn sie selbst dabei Geld verlieren. Das Spiel misst also unser Gerechtigkeitsgefühl: Welches Leiden nehmen wir auf uns, um jemanden zu bestrafen, der sich uns gegenüber unfair verhält? Eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern (zu der zwecks größerer wissenschaftlicher Strenge auch einige Anthropologen stießen) vertrat dazu jedoch ein erstaunliches Argument: Danach handeln Menschen so, als habe die Evolution sie für eine solche künstliche Laborsituation ausgerüstet. Oder anders formuliert: Dass wir ungerechte Angebote ablehnen und dafür auch selbst einen Preis bezahlen, um den Täter in einem völlig anonymen Austausch zu bestrafen, bedeutet für sie, dass die Voreingenommenheit sich exakt für diese Situation entwickelt hat – für einen einmaligen Austausch, aus dem der Handelnde vermutlich keinen großen Nutzen zieht und in dem es weder Verwandtschaftsverhältnisse noch einen Nutzen für die Gruppe gibt. Wieder einmal übertrumpft die Gruppe also das Individuum. Aber das ist ebenso logisch, als würde man behaupten, unser Entsetzen beim Ansehen eines Horrorfilms habe sich in der Evolution speziell für Filmvorführungen entwickelt. Biologen holen Lebewesen schon seit Jahrhunderten ins Labor, um ihre Merkmale zu studieren, aber soweit ich weiß, hat sich noch nie jemand die Untersuchung der Funktion einzelner Merkmale mit der Vorstellung vereinfacht, das Merkmal habe sich entwickelt, damit es ins Labor passt. 5
    Ein Wirtschafts-Nobelpreisträger aus jüngerer Zeit stellte die Frage, wie es möglich sei, dass seine gut entwickelte Wissenschaft nicht die katastrophalen wirtschaftlichen Ereignisse voraussagen konnte, die 2008 begannen. Einerseits sind wirtschaftliche Ereignisse natürlich von ihrem Wesen her höchst komplex; in sie fließen viele Faktoren ein, und das Endergebnis, die Gesamtheit der Verhaltensweisen einer ungeheuer großen Zahl von Menschen, ist zwar nicht ganz so komplex wie das Wetter, aber es lässt sich fast ebenso schwer vorhersagen. Der Wirtschaftswissenschaftler verortete die Ursache in der Vernarrtheit seiner Zunft in wunderschöne Mathematik, der die Aufmerksamkeit für die Realität zum Opfer gefallen sei. 6 Damit hatte er sicher einen Teil des Problems benannt, aber an keiner Stelle äußerte er den Vorschlag, sich als Erstes auf ein ganz bestimmtes Stück der Realität zu konzentrieren – obwohl dies schon seit etwa 30 Jahren offenkundig ist: auf die Biologie und insbesondere die Evolutionstheorie. Hätten die Wirtschaftswissenschaftler vor 30 Jahren eine Theorie der wirtschaftlichen Nützlichkeit auf einer Theorie des biologischen Selbstinteresses aufgebaut – hätten sie also die wunderschöne Mathematik vergessen und sich auf die wichtige Mathematik konzentriert –, wären uns einige Überspanntheiten des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens erspart geblieben, beispielsweise die Vorstellung von eingebauten Anti-Täuschungs-Mechanismen, die irgendwann eingreifen und uns vor den schädlichen Auswirkungen des uneingeschränkten wirtschaftlichen Egoismus derjenigen schützen, die ohnehin bereits ganz oben stehen.
    Letztlich verfällt eine Wissenschaft, die in Wirklichkeit nur eine vorgetäuschte Wissenschaft ist, auch in nachlässige, einseitige Systeme zur Bewertung der Wahrheit. Betrachten wir einmal folgendes Beispiel, das sich in den letzten 15 Jahren häufig wiederholt hat: Die Weltbank rät den Entwicklungsländern, ihre Märkte für ausländische Waren zu öffnen, lässt dann die Märkte herrschen und beschneidet den Wohlfahrtsstaat. Wenn das Programm durchgeführt wird und scheitert, ist die Diagnose einfach: »Unser Rat war gut, aber ihr habt ihn nicht genau genug befolgt.« Die Gefahr, angesichts einer solchen Vorgehensweise widerlegt zu werden, ist gering.
    Kulturanthropologie
    Die Kulturanthropologie vollzog Mitte der 1970 er Jahre eine tragische Wendung nach links, von der sie sich (zumindest in den Vereinigten Staaten) bis heute nicht erholt hat. Davor wurde das Fachgebiet als Sozialanthropologie bezeichnet; es beschäftigte sich mit allen Formen des Sozialverhaltens von Menschen, insbesondere mit ihren Ausdrucksformen in verschiedenen Kulturen und Völkern. Dabei war es als Ergänzung zur physischen Anthropologie gedacht, deren Gegenstand die Untersuchung des Körpers einschließlich der Fossilien

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