Betrug und Selbstbetrug
sie zu bizarren Geisteshaltungen getrieben und glauben beispielsweise, Worte hätten die Macht, die Realität zu beherrschen, oder soziale Konstrukte wie die Geschlechterrollen seien viel stärker als die 300 Millionen Jahre alte genetische Evolution, die zwei Geschlechter hervorgebracht hat; über die Tatsachen dieser Evolution wollen sie ohnehin nichts wissen, um dann umso besser eine ausschließlich auf Worten basierende Herangehensweise an das Thema entwickeln zu können.
In der Kulturanthropologie geht es in vielerlei Hinsicht nur noch um Selbsttäuschung – und zwar die der anderen. Wissenschaft selbst ist demnach nur ein soziales Konstrukt, eine von vielen gleichermaßen berechtigten Weisen, die Welt zu betrachten: Die Eigenschaften von Viren sind vielleicht ebenfalls soziale Konstrukte, der Penis in einem gewissen Sinn auch, ebenso die Quadratwurzel von - 1 , und so weiter. Die Folge: In den Vereinigten Staaten bestehen die meisten anthropologischen Institute aus zwei völlig getrennten Abteilungen, wobei, wie ein Biologenkollege es formulierte, »die uns für Nazis und wir sie für Idioten halten« – kaum eine Grundlage für Synthese und gegenseitig befruchtendes Wachstum.
Psychologie
In den 1960 er Jahren leugneten Psychologen häufig ausdrücklich die Bedeutung der Biologie. Wer an der Harvard University in Psychologie promovieren wollte, musste ein Semester Physik belegen. Damit sollten die Studenten eine Vorstellung davon erhalten, wie eine exakte Naturwissenschaft aussieht. Biologie wurde nicht verlangt. Wie die Wirtschaftswissenschaftler, so schufen auch die Psychologen ihr Fachgebiet aus sich selbst heraus: Lerntheorie, Sozialpsychologie, Psychoanalyse – eigentlich konkurrierende Vermutungen darüber, was für die Entwicklung des Menschen wichtig ist, und keine davon mit irgendeiner Begründung. Die Psychoanalyse war, wie wir noch genauer erfahren werden, ein schon seit langem praktizierter Schwindel, und die Lerntheorie stellte weitreichende, unplausible Behauptungen darüber auf, wie man durch Verstärkung alle Verhaltensweisen anpassungsorientiert beeinflussen könne. Wie sich bald herausstellte, kann Verstärkung schon aus logischen Gründen nicht zur Entstehung von Sprache führen, ja nicht einmal zu Zusammenhängen zwischen Handlungen und ihren Wirkungen, wenn Letztere sich um mehr als ein paar Augenblicke verzögern.
Die Psychologie hat aber auch eine positive Seite: Sie konzentriert sich immer auf das Individuum und eignet sich deshalb ideal für eine Herangehensweise, die vom Vorteil des Einzelnen ausgeht. In jüngster Zeit hat sich eine Schule der strengen Evolutionspsychologie entwickelt, und die Psychologie wurde zunehmend in andere Bereiche der Biologie integriert, nämlich schon vor langer Zeit in die Sinnesphysiologie und heute auch in Neurophysiologie und Immunologie. Damit wird die Psychologie sehr schnell zu dem Zweig der Evolutionsbiologie, der sie immer sein wollte.
Die Sozialpsychologie hinkt ein wenig hinter der übrigen Psychologie her, auch dies ein Beispiel dafür, wie Täuschung und Selbsttäuschung insbesondere die Entwicklung von Fachgebieten mit stärker sozialem Inhalt verzögern. Außerdem konstruierte sie künstliche Methoden, die dazu dienen sollten, Arbeiten abzukürzen und schnell zu Ergebnissen zu gelangen; dies ist seit mehr als einem Jahrhundert der Fluch der Psychologie: Man will mehr sagen, als die verfügbaren Kenntnisse hergeben. Eine entscheidende Methode ist die der Selbstauskunft, das heißt das Ausfüllen von Fragebögen – man will wissen, was Menschen über sich selbst sagen. Im Rückblick erscheint es unklug, eine Wissenschaft des menschlichen Verhaltens auf den verbalen Antworten der Menschen auf Fragen aufzubauen. Zum einen spielen dabei nämlich die Kräfte der Täuschung und Selbsttäuschung – wer mag, kann sie auch als Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung bezeichnen – eine große Rolle. Wir sagen anderen oft nicht die Wahrheit über uns, und häufig kennen noch nicht einmal wir selbst diese Wahrheit. Wie wollen wir bei Anwendung solcher Methoden die Täuschung und erst recht die Selbsttäuschung herausfiltern, um zur Wahrheit zu gelangen? Und wie soll uns das gelingen, wenn wir noch nicht einmal über eine ausdrückliche Theorie der Täuschung und Selbsttäuschung verfügen? Wer auf einem solchen Fundament eine Wissenschaft aufbauen will, stößt auf zahlreiche wichtige Korrelationen zwischen schlecht definierten Variablen,
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