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Bettler und Hase. Roman

Bettler und Hase. Roman

Titel: Bettler und Hase. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuomas Kyrö
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nicht einmal bis dahin. Er hatte praktisch die gleichen Burn-out-Symptome, die seine potenziellen Almosengeber plagten. Die Menschen wollten mittels der schnellstmöglichen Bus-S-Bahn-Fußweg-Verbindung in ihre fernbeheizten Häuser kommen, sie empfanden es nicht als ihre Pflicht, einem zu helfen, der theoretisch auch arbeiten konnte.
    Und unweigerlich kam der Tag, an dem die Organisation befahl, die Abläufe effizienter zu gestalten. Es standen betriebsbedingte Kündigungen an, denn die organisierte Kriminalität war ja nichts anderes als ein multinationaler Konzern wie Nokia oder Gazprom. Außerdem stellte man in der Werbe- und Marketingabteilung der Organisation fest, dass ein Einbruch im öffentlichen Ansehen des Bettelns zu verzeichnen war. Die Polizei griff immer energischer gegen Bettler durch, und die Volksmeinung verschärfte sich. In Helsinki wollte der Bürgermeister die Lumpenkerle sogar ganz aus den Augen haben.
    Also pochte die Firmenzentrale auf Rationalisierung. Jeder sollte seine Leistung um dreißig Prozent steigern, gleichzeitig sollten diejenigen, die am wenigsten einbrachten, aussortiert werden. Wer zuletzt gekommen war, musste als Erster gehen. Die Bettler hörten sich an, was Jegor sagte, Vatanescu etwas abseits von den anderen auf den Stufen seines Wohnwagens. Ihm lief Rotz aus der Nase, vielleicht hatte er Fieber, vielleicht stand er kurz vor der Hypothermie.
    Jegor Kugar.
    Für dich ist eine stille Wasserfläche etwas, wo du den Kopf eines Mitmenschen untertauchst, um ihn zu ertränken.

    Und unweigerlich kam der Tag, an dem sich das Lager mit dem Blinken von Blaulichtern füllte. Hinter den Polizeiautos fuhren rot blinkende Planierraupen aufs Gelände. Die Polizei gab den Bewohnern fünf Minuten Zeit, die Sachen zu packen und in die Länder ihrer Väter zu verschwinden. Frauen und Kindern wurde immerhin ein warmes Nachtquartier im Asyl garantiert, die Fahrt dorthin geschah jedoch hinter den verschlossenen Türen einer grünen Minna.
    Den erwachsenen Männern fiel wieder mal die Aufgabe zu, einfach irgendwie zu überleben. So wie immer. Ein erwachsener Mann kriegt nur, was er sich nimmt, und das fehlt dann den anderen. So kommt es zu Beschuldigungen, Forderungen, Weltkriegen. Und weil die erwachsenen Männer immer an allem schuld sind, schickt man sie überall dorthin, wo es am schlimmsten ist: zur Jagd, in den Krieg, zum Bau von Spielhäuschen im Garten, zur Teilnahme am Finlandia-Lauf. Allerdings melden sich dort auch viele von sich aus, wohl wissend, dass erwachsene Männer nur so lange einen Wert besitzen, wie sie über Kraft verfügen. Solange ein erwachsener Mann in der Lage ist, seine Angehörigen zu schützen, stellt er eine Bedrohung für alle dar, die außerhalb des engsten Kreises stehen. Aus dieser simplen Tatsache resultiert alles Gute und alles Schlechte in Wirtschaft, Rockmusik und Wettrüsten. Schlecht bestellt ist es um den armen Menschen, der nicht weiß, wie man sich etwas nimmt. Arm dran ist der Mann, der nicht um seinen Platz zu kämpfen weiß, der die Sprache nicht beherrscht, nicht die Gebärden des Charmeurs, nicht den Humor, der Stürze abfedert. Ein Mann weckt niemals Mitleid wie ein Kind und erst recht keine Leidenschaft wie eine Frau, seine eigentliche Aufgabe und der Sinn seines Lebens besteht darin, wirtschaftlichen Mehrwert zu erbringen.
    Ich bin niemandem nützlich.
    Niemand ist mir von Nutzen.
    Man braucht mich nicht.
    Aber ich brauche Stollenschuhe.

    Die Planierraupen planierten alles und luden den Bauschutt anschließend in Container. Vatanescu stellte sich mit Balthazar und den anderen Bettlern in einer Unterführung unter. Dort nahm der Alte Vatanescus Hand und drückte sie, wie ein Vater bei seinem Sohn. Sie gab alle Kraft an den Nachfolger weiter, die kalte, faltige Hand mit ihrem festen Druck, und Balthazar sagte, er habe in den Sternen gelesen, sprich er wisse aus Erfahrung, dass auf ein Grillsteak nie etwas Gutes folgt. In dem Moment fühlte Vatanescu etwas; es fing mit Angst an, ging in Ungewissheit über und verwandelte sich in überirdischen Groll. Er schlug die Faust gegen die Wand der Unterführung, er, der noch nie jemanden geschlagen hatte, pumpte sich so lange auf, bis er den Zustand erreicht hatte, der die folgenden Ereignisse erst möglich machte.
    Als schließlich die Gestalt von Jegor Kugar am Eingang der Unterführung auftauchte, wusste Vatanescu, dass er nicht zurückweichen würde. Die Planierraupen zogen ab, jetzt musste er so stark

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