Betty kann alles
Betsy, du siehst Gespenster», lachte Mary. «Du weißt doch selbst, was für eine blühende Phantasie du hast. Dorita arbeitet schließlich für die Western Transportgesellschaft.»
«Was tut sie dort?»
«Keine Ahnung», gestand Mary. «Sie macht fraglos einen etwas komischen Eindruck, aber sie ist doch ein ganz netter Kerl.»
«Sie macht nicht nur einen komischen Eindruck, sie benimmt sich auch komisch», versetzte ich grimmig. «Ich habe sie dabei ertappt, wie sie in meiner Tasche herumsuchte, und sie hat absichtlich den Stoß mit den fertig gefalzten Einladungen zu Boden geworfen. Außerdem hat sie mich gefragt, wieviel ich wiege, und versucht, mich mit ihrem Leopardenmantel zu erwürgen.»
«Du bist übermüdet, Betsy», war Marys Kommentar.
Als wir am nächsten Nachmittag das Lagerhaus betraten, war Dorita schon dort und emsig damit beschäftigt, Einladungen in Kuverts zu stecken. Ich fand es merkwürdig, daß sie zur Arbeit in dem schmutzigen Lagerhaus einen Nerzmantel trug und daß die Haarlocke auf ihrer Stirn heute kastanienrot war.
Wir unterhielten uns während der Arbeit, und am Ende des Nachmittags kam es mir zum Bewußtsein, daß Dorita wohl alles von Mary und mir wußte, wir aber nicht das geringste über sie erfahren hatten und uns nicht einmal die Art ihrer Tätigkeit bei der Western Transportgesellschaft oder ihre Adresse bekannt war.
Am Montag rief ich Mary in ihrem Büro an und gestand ihr, daß es mir vor dem dunkeln unheimlichen Lagerhaus graute, und fragte, ob es denn nicht möglich wäre, die noch nicht gefalzten Einladungen heimzunehmen und zu Hause fertigzumachen.
«Ich habe aber Dorita schon gesagt, daß du gegen halb sechs Uhr dort sein würdest», meinte Mary.
«Dorita ist der Hauptgrund, warum ich nicht in dem Lagerhaus arbeiten will. Außerdem heult der Wind heute entsetzlich, und es ist dort unten wahrscheinlich noch kälter und ungemütlicher als sonst. Ruf doch Dorita an und sage ihr, daß wir den Rest der Einladungen zu uns heimnehmen.»
Mary versprach, dies zu tun, und um halb sechs Uhr nahm ich ein Taxi, fuhr zum Lagerhaus, hieß den Chauffeur warten und ging in die dunkle Höhle, um die Einladungen zu holen. Dorita in einem grauen Eichhörnchenmantel und mit einer blonden Locke unter dem Turban saß unter der fahlen Birne und falzte Einladungen.
«Hat Mary Sie denn nicht angerufen?» fragte ich erstaunt.
«Nein.»
«Ich nehme den Rest der Einladungen heim und falze sie zu Hause», erklärte ich.
«Das werden Sie nicht tun. Ich lasse es nicht zu. Sind Sie katholisch?»
Ich nahm wortlos einen Stoß der Einladungen und wandte mich zum Tor. Dorita rannte hinter mir her, packte mich am Mantel, und zischte in mein Gesicht: «Ich habe Sie gefragt, ob Sie katholisch sind.»
«Nein, ich bin nicht katholisch, und lassen Sie gefälligst meinen Mantel los.»
«Sie lügen! Sie lügen! Sie lügen!» rief Dorita.
«Brauchen Sie Hilfe, junge Dame?» hörte ich die Stimme des Chauffeurs vom Tor her.
«Ja», rief ich erleichtert.
Sofort ließ Dorita meinen Mantel los. «Kommen Sie, meine Liebe, ich helfe Ihnen die Sachen hinaustragen.»
Ich erwiderte kein Wort und sah sie nur an, und mein Blick muß vielsagend gewesen sein, denn sie schüttelte sich, machte «Brrr, ist das aber kalt hier», und lachte.
Der Chauffeur und ich gingen dreimal hin und her, dann waren alle Einladungen im Taxi verstaut, und ich fuhr heim. Als Mary nach Hause kam, behauptete sie steif und fest, Dorita angerufen und ihr Bescheid gesagt zu haben.
An jenem Abend, als wir alle um den Tisch herumsaßen und falzten, erzählte ich von Dorita. Die Familie war sich einig, daß Dorita eine merkwürdige, vielleicht auch gefährliche Person sei, doch etwas gegen sie zu unternehmen läge kein Grund vor. Wir sollten jedoch unser Arbeitsfeld aus dem düsteren Lagerhaus in eine weniger unheimliche Gegend verlegen, lautete der allgemeine Rat.
So gegen halb zwölf Uhr nachts hatten wir mit dem Falzen aufgehört, tranken Kaffee und lauschten dem Sturm, der draußen heulte, als es läutete. Dede ging zur Türe, berichtete aber, es sei niemand da. Am nächsten Morgen fand ich die Identitätskarte mit meiner Unterschrift, die ich immer in meiner Tasche bei mir trage, unter die Haustüre geschoben. Ich hatte nicht einmal bemerkt, daß ich die Karte verloren hatte. Mein Verdacht richtete sich gegen Dorita. Sie mußte die Karte aus meiner Tasche genommen haben.
«Wir können sie ja fragen», schlug Mary vor. «Sie kommt
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