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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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Seite, und wir betraten das große, dumpf riechende Gebäude. Mary schaltete das kärgliche Licht ein, deutete auf einen enormen Stapel vorgedruckter Einladungen zu der Weihnachtsfeier und sagte: «Du kannst mal damit beginnen, die Einladungen zu falzen und in Kuverts zu stecken.» Es standen mehrere Kisten mit Tausenden und aber Tausenden von Kuverts herum. «Ich habe noch einiges in der Stadt zu erledigen.»
    «Was für ein scheußlicher Platz zum Arbeiten», meinte ich und sah zu der Elf-Watt-Birne auf, die aus der in grau-schwarzer Ferne verschwindenden Decke herunterbaumelte. Das Lagerhaus wirkte wie eine riesige, dunkle Höhle.
    «Ich hatte keine andere Wahl», erklärte Mary. «Die Transportgesellschaft legt natürlich keinen Wert darauf, fremde Leute über das Wochenende in ihren Büros herumlaufen zu lassen. Sie boten mir dieses Lagerhaus an.»
    «Ein bißchen klein für unseren Zweck», sagte ich und deutete auf die Hunderte von Metern umfassende düstere Leere ringsum. «Hast du nicht das Gefühl, der Raum sei überfüllt?»
    «Für gewöhnlich ist es hier überfüllt», sagte Mary. «Aber diesen Monat brauchten sie diese Halle nicht. Es seien bloß Äpfel und Ratten hier, hat der Wächter mir gesagt. Darum arrangiere ich ja die Weihnachtsfeier. Das soll eine Bombenreklame werden, und nachher wird die Western so viel zu tun bekommen, daß sie sich der Arbeit gar nicht mehr erwehren können.»
    «Ratten verbreiten Pest», erklärte ich lakonisch und setzte mich wenig begeistert auf den hohen Stuhl vor einer leeren Kiste, die mein improvisiertes Büro vorstellte.
    «Ratten kommen doch nicht zum Licht», tröstete mich Mary.
    «Dann wäre es empfehlenswert, ein paar Zündhölzer zu brennen, um das Licht aus dem Taschenlampenbirnchen da oben zu verstärken.»
    Mary lachte, nahm ihre Handschuhe und sagte: «Ich werde mich beeilen, so sehr ich kann. Sieh keine Gespenster, wenn du was hörst. Das ist bloß der Wächter.»
    Sie ging, und ich machte mich an die Arbeit. Die Einladungen waren auf blaßgrünem, büttenähnlichem Papier gedruckt, das an genauen Bruchstellen gefalzt werden mußte, wenn es ordentlich aussehen sollte. Nachdem ich drei Einladungen schief und krumm gefaltet hatte, kannte ich den Trick und wußte, wo ich die Einladung biegen mußte, damit sich beim Herausziehen aus dem Kuvert bereits verlockend das Wort ‹Weihnachtsfeier› präsentierte. Das Licht war sehr schlecht. Die kleine Birne erhellte – oder besser gesagt: durchdrang die Finsternis – in einem Radius von höchstens zwei Metern. Abgesehen davon, war das Lagerhaus natürlich nicht geheizt, und es ging nicht lange, und meine Hände und Füße wurden zu gefühllosen Eisklumpen. Um mich herum hörte ich die ganze Zeit ein leise tappendes Geräusch, was sowohl vom aufs Dach fallenden Regen wie von Ratten stammen konnte. Und über allem hing der eindringlich süßliche und sich unangenehm auf den Magen legende Geruch faulender Äpfel.
    Wie jede mechanische Arbeit schien auch das Falzen und Kuvertieren entsetzlich langsam zu gehen. Um mir die Zeit zu vertreiben, erfand ich kleine Behelfe. Ich kontrollierte die Minuten, die ich zum Falzen von soundso vielen Einladungen brauchte. Ich falzte im Takt einer Melodie, die ich pfiff, und schließlich nahm ich mir vor: «Ich mache an den Stapeln kleine Zeichen in ungefähr zehn Zentimeter Abstand. Vielleicht komme ich bis zum zehnten Zeichen, bevor Mary zurück ist.»
    Ich hatte bereits das zwanzigste Zeichen angebracht, und es war nach fünf Uhr, als ich endlich das Rumpeln des zurückgeschobenen Tores hörte und einen weiblichen Schatten hereinschlüpfen sah. Erleichtert rief ich: «Bist du's, Mary?» Der Klang meiner Stimme verwehte in dem leeren Riesenraum wie welke Blätter in einem Faß. Es kam keine Antwort. Ich vernahm das Klappern hoher Absätze auf dem Steinboden und sah auch die Umrisse einer Gestalt sich auf mich zu bewegen, aber obwohl ich nochmals rief: «Mary, bist du's?», kam keine Antwort.
    Ich saß nicht sehr weit vom Tor entfernt und strengte mich an, die Dunkelheit mit meinen Augen zu durchdringen. Aber es vergingen mehrere Minuten, bevor meine Besucherin sich in mein Blickfeld begab. Sie nahm sich Zeit, ja, sie schien sogar zu zaudern, was mir unter den gegebenen Umständen nicht gerade geheuer vorkam. Als sie endlich in den fahlen Lichtradius trat, entpuppte sie sich als eine völlige Fremde in einem Leopardmantel und einem Gesicht wie eine Möwe. Sie hatte die gleiche

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