Betula Pendula: Erster Zyklus: Frühling (German Edition)
seiner Mutter beigebrachte Regel „Rede erst, wenn du gefragt wirst“ anzuwenden.
„Ich verabschiede mich jetzt. Vielen Dank “, sagte die Eidechse, und fügte dann hinzu: „Schönen Abend noch, Herr Abies. Wir sehen uns bestimmt wieder“, kletterte aus dem Fenster und verschwand.
Viktor dachte über diese Begegnung nach, lief in den Flur und sah sich selbst im Spiegel an – er wollte sehen, was die Eidechse begutachtet hatte – und kam zu keiner vernünftigen Erklärung.
Am nächsten Tag meldete ihn seine Mutter bei einem Karate-Verein an. Dies geschah hauptsächlich, weil sie nicht mehr von Viktors ständigem Drängen genervt werden wollte.
Oded fuhr i hn zum Verein, ein kleines, zweistöckiges Gebäude in D8, unweit vom Kino.
Das Kino zeigte gerade in der Hauptvors tellung „Manche mögen’s heiß“. Das Kino war in Hedera Helix nicht dafür bekannt, auf dem Stand der Dinge zu sein. Einmal im Monat zeigte es für einen einzigen Abend einen „neuen“ Film, der aber immer eine Raubkopie war, meistens in sehr schlechter Qualität beziehungsweise die Aufnahme von jemandem, der diesen Film in der Nachbarstadt Salix Alba im Kino gesehen und nebenbei mit seiner Videokamera aufgezeichnet hatte. Das Kino war dann so voll, dass Leute in den Gängen und auf dem Boden saßen, standen oder sich zu zweit auf einem Stuhl drängten. Wer in ein vernünftiges Kino wollte, um aktuelle Filme zu sehen, fuhr nach Salix Alba.
Viktor war nur zwei Mal bisher in einem Kino gewesen. Das erste Mal vor zwei Jahren, da war er mit Oded in Hedera Helix ins Kino gegangen. Sie hatten sich „Dumbo“ angeschaut. Das Kino war nicht voll gewesen, die ganze Stadt hatte den Film schon gesehen und er wurde sowieso alle paar Wochen wiederholt. Viktor war mehr als fasziniert von der großen Leinwand, der Dunkelheit und von der großen Tüte Popcorn, die er bekam. Das andere Mal ging er mit Marco, und sie schauten „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“.
Jetzt, als sie an dem Kino vorbeigingen, sah er sich die ganzen Plakate an, die vergilbt und zerfleddert an der Wand hingen. Es waren hauptsächlich Plakate von schwarz-weißen Filmen, die ihn nicht sonderlich interessierten , und ein paar bunte Plakate nur mit Erwachsenen darauf, die sehr langweilig aussahen.
U nd ein Plakat von einem Mann, der in einem Dschungel stand, ein Maschinengewehr hatte und sehr cool aussah.
„Oded!“, rief Viktor. „Ich will diesen Film sehen!“
Oded schaute in die Richtung, in die Viktors Finger zeigte. „Nein, Viktor, ich glaube nicht“, sagte er dann und zog Viktor weiter.
„Warum?“
„Ich glaube, ‚Rambo’ ist nichts für dich.“
„Warum?“
„Der Film ist brutal, Viktor.“
„Ist da viel Blut?“
„Ja, und viele Leute sterben.“
Viktor dachte nach. Er hatte schon Filme gesehen , wo Leute starben, aber als er etwas einwenden wollte, standen sie schon vor dem Freizeit-Zentrum.
Oded füllte ein Formular bei einer Dame aus, die an einem Empfangstisch saß und Viktor wohlwollend anlächelte. Dann zeigte ihm Oded die Umkleidekabine, zeigte ihm, wohin er gehen muss, nachdem er sich umgezogen hatte, und versprach, in zwei Stunden wiederzukommen. Er war in Eile, denn Helena wartete zu Hause ungeduldig darauf, ins Zollamt gefahren zu werden. Eine neue Lieferung Stoffe war angekommen, und an solchen Tagen war sie sehr reizbar.
Viktor zog sich im Umkleideraum um, da waren schon ein paar Jungs anwesend, und als sie fertig waren, gingen sie zusammen in den Trainingsraum.
Der Trainer hieß Angh Park und sah sehr fremdländisch aus.
Viktor erinnerte sich an seine Zeit in Singapur , und solch ein furchtbares Grauen erfüllte ihn, dass er schon fast aufstand, um aus dem Sportraum wegzulaufen.
Aber Angh Park sah erstaunlicherweise sehr nett aus, war sehr freundlich und redete gar nicht fremdländisch, also beruhigte sich Viktor wieder.
Angh Park stellte sich vor. Er hieß Angh Park, kam aus einem Land namens „Süden von Korea“ (Viktor merkte sich das Land und wollte nachher in seinem Kinderlexikon nachschauen), war 29 Jahre alt und hatte angeblich irgendwelche Gürtel. Viktor überlegte, dass er selbst auch ganz viele Gürtel zu Hause hatte.
Dann mussten sich die Jungs der Reihe nach vorstellen. Da Viktor sich am weitesten von Angh Park aufgestellt hatte, kam er als Erster dran.
Er dachte kurz nach und sagte dann: „Ich heiße Viktor Abies, bin acht Jahre alt und ich komme von hier.“
„Warum willst du Karate lernen,
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