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Beute

Beute

Titel: Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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angeschwollenen Gesichts und Körpers flog in Partikelströmen von ihr ab, wie Sand, der von einer Düne geweht wird. Die Partikel schossen im Bogen des Magnetfeldes zu den Wänden des Raumes hin.
    Ich spürte, wie Julias Körper in meinen Armen leichter wurde. Noch immer rauschten die Partikel mit einem zischenden Geräusch in alle Ecken des Raumes. Und als es vorbei war, hielt ich nur noch eine blasse und ausgezehrte Gestalt in den Armen. Julias Augen waren tief in die Höhlen gesunken. Ihre Lippen waren dünn und rissig, ihre Haut fast durchscheinend, ihr Haar farblos, spröde. Das Schlüsselbein trat an ihrem knochigen Hals hervor. Sie sah aus wie eine im Sterben liegende Krebskranke. Ihr Mund bewegte sich. Ich hörte schwache Worte, kaum mehr als ein Hauchen. Ich beugte mich vor, hielt mein Ohr dicht an ihren Mund.
    »Jack«, flüsterte sie. »Er frisst mich auf.«
    Ich sagte: »Ich weiß.«
    Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Du musst was tun.«
    »Ich weiß.«
    »Jack … die Kinder.«
    »Ja.«
    Sie flüsterte: »Ich … hab sie … geküsst …«
    Ich sagte nichts. Ich schloss bloß die Augen.
    »Jack … Rette meine Kleinen … Jack …«
    »Ja«, sagte ich.
    Ich blickte zu den Wänden auf und sah überall um mich herum Julias Gesicht und Körper, überdehnt und dem Raum angepasst. Die Partikel behielten Julias Äußeres bei, waren aber jetzt flach an die Wände gepresst. Und sie bewegten sich nach wie vor, im Einklang mit den Bewegungen ihrer Lippen, dem Blinzeln ihrer Augen. Während ich hinsah, trieben sie plötzlich zu ihr zurück, wie ein Nebel in der Farbe von Julias Haut.
    Von draußen hörte ich Ricky rufen: »Julia! Julia!« Er trat zweimal gegen die Tür, aber er kam nicht herein. Ich wusste, er würde sich nicht trauen. Ich hatte eine ganze Minute gewartet, sodass die Kondensatoren geladen waren. Er konnte mich jetzt nicht daran hindern, den Magnet wieder einzuschalten. Ich konnte es jederzeit tun - zumindest bis die Kondensatoren entladen waren. Ich wusste nicht, wie lange das dauern würde.
    »Jack …«
    Ich blickte sie an. Ihre Augen waren traurig, flehend.
    »Jack«, sagte sie. »Ich wusste nicht …«
    »Schon gut«, sagte ich. Die Partikel kamen zurück, setzten ihr Gesicht vor meinen Augen erneut zusammen. Julia nahm wieder eine feste Form an und wurde schön.
    Ich rammte das Knie gegen den Knopf.
    Wumm!
    Die Partikel schossen weg, flogen wieder an die Wände, doch diesmal nicht so schnell. Und ich hatte erneut die ausgezehrte Julia in den Armen, ihre tief liegenden Augen flehten mich an.
    Ich griff in meine Tasche und zog eins von den Phagen-Röhrchen hervor. »Trink das hier«, sagte ich.
    »Nein … nein …« Sie war aufgewühlt. »Zu spät … für …«
    »Trink«, bat ich. Ich hielt ihr das Röhrchen an die Lippen. »Komm, Schatz. Bitte versuch es.«
    »Nein … bitte … Nicht wichtig …«
    Ricky schrie: »Julia! Julia!« Er hämmerte gegen die Tür. »Julia, ist alles in Ordnung?«
    Die Leichenaugen drehten sich in Richtung Tür. Ihr Mund bewegte sich. Ihre Skelettfinger zogen an meinem Hemd, kratzten am Stoff. Sie wollte mir etwas sagen. Ich drehte den Kopf, damit ich sie hören konnte.
    Sie atmete flach, schwach. Ich konnte die Worte nicht verstehen. Und dann plötzlich waren sie ganz deutlich.
    Sie sagte: »Sie müssen dich jetzt töten.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Lass das nicht zu … Kinder …«
    »Das werde ich nicht.«
    Ihre knochige Hand berührte meine Wange. Sie flüsterte. »Ich habe dich immer geliebt, Jack. Ich würde dir niemals wehtun.«
    »Ich weiß, Julia. Ich weiß.«
    Die Partikel lösten sich erneut von den Wänden. Jetzt schienen sie zusammenzugleiten, um dann zu Julias Gesicht und Körper zurückzukehren. Wieder drückte ich den Notknopf, wollte noch mehr Zeit mit ihr haben, doch es kam nur ein träges, mechanisches Klonk.
    Die Kondensatoren waren leer.
    Und mit einem Wuusch kehrten alle Partikel zurück, und Julia war wieder so kräftig und schön und stark wie zuvor, und sie stieß mich mit einem verächtlichen Blick von sich weg und sagte mit lauter, fester Stimme: »Tut mir Leid, dass du das sehen musstest, Jack.«
    »Mir auch«, sagte ich.
    »Aber das ist nun mal nicht zu ändern. Wir verschwenden hier unsere Zeit. Ich will den Virus-Kanister, Jack. Und zwar auf der Stelle.«
    In gewisser Weise machte es mir die Sache einfacher. Denn jetzt wusste ich, dass ich es nicht mehr mit Julia zu tun hatte. Ich musste mir keine Gedanken mehr darum

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