Beute
war wahr. Die Freilassung des Schwarms war Absicht gewesen.
Sie war von Anfang an geplant gewesen.
Als sie merkten, dass der Schwarm bei starkem Wind nicht funktionierte, suchten sie erfolglos nach einer Lösung. Die Partikel waren einfach zu klein und zu leicht - und auch zu dumm. Sie hatten von Anfang an Designfehler, die nicht zu beheben waren. Das ganze Multimillionen-Dollar-Projekt fürs Militär drohte zu scheitern, und es war einfach keine Lösung in Sicht.
Deshalb beschlossen sie, den Schwarm dazu zu bringen, selbst eine Lösung zu finden.
Sie rekonfigurierten die Nanopartikel und versahen sie mit Sonnenenergie und Speicherkapazität. Sie schrieben das Partikelprogramm neu, um einen genetischen Algorithmus hinzuzufügen. Und sie ließen die Partikel frei, damit sie sich vermehren und entwickeln konnten und um zu sehen, ob sie allein überlebensfähig waren.
Und sie hatten Erfolg.
Es war so dumm, dass einem die Luft wegblieb. Ich begreife einfach nicht, wie man so etwas aushecken konnte, ohne sich die Folgen klarzumachen. Wie alles, was ich bei Xymos gesehen habe, war es ein schlampiger, unausgegorener Plan, hektisch zusammengeschustert, um aktuelle Probleme zu lösen, ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. So etwas kommt wahrscheinlich häufiger vor, wenn eine Firma auf dem Spiel steht, doch bei Technologien wie dieser war es unverantwortlich.
Aber natürlich ist die eigentliche Wahrheit noch komplizierter. Die Technologie selbst lädt praktisch zu diesem Verhalten ein. Verteilte-Agenten-Systeme laufen von selbst. So funktionieren sie nun mal. Das war ja gerade der Sinn der Sache: Man installiert sie und lässt sie arbeiten. Man gewöhnt sich an diese Methode. Man gewöhnt sich daran, Agentennetzwerke so zu behandeln. Autonomie ist der springende Punkt.
Aber es ist eine Sache, eine Population virtueller Agenten innerhalb eines Computerspeichers freizulassen, um ein Problem zu lösen. Es ist jedoch eine andere, dies mit realen Agenten in der wirklichen Welt zu tun.
Den Unterschied hatten sie einfach nicht gesehen. Oder nicht sehen wollen.
Und so ließen sie den Schwarm frei.
Der Fachbegriff dafür lautet »Selbstoptimierung«. Der Schwarm entwickelt sich von allein weiter, die weniger erfolgreichen Agenten sterben ab, und die erfolgreicheren bringen die nächste Generation hervor. Nach zehn oder hundert Generationen findet der Schwarm die beste Lösung. Die optimale Lösung.
Dergleichen geschieht ständig innerhalb eines Computers. Es wird sogar zur Entwicklung neuer Computeralgorithmen angewendet. Danny Hillis versuchte vor Jahren als einer der Ersten auf diesem Wege, einen Sortieralgorithmus zu optimieren. Er wollte herausfinden, ob der Computer selbst ausknobeln konnte, wie er besser arbeitete. Das Programm fand eine neue Methode. Schon bald folgten andere Hillis’ Beispiel.
Doch mit autonomen Robotern in der realen Welt ist so etwas noch nicht gemacht worden. Soweit ich weiß, war es das erste Mal. Vielleicht ist es schon vorher einmal passiert, und wir haben nur noch nichts davon gehört. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass es wieder passieren wird.
Wahrscheinlich bald.
Es ist zwei Uhr morgens. Die Kinder haben endlich aufgehört zu brechen. Sie schlafen jetzt. Offenbar friedlich. Das Baby schläft. Ellen fühlt sich noch immer ziemlich elend. Ich muss wieder eingedöst sein. Ich weiß nicht, wovon ich aufgewacht bin. Ich sehe Mae den Hang hinter meinem Haus hochkommen. Bei ihr sind der Typ in dem Schutzanzug und der Rest vom SSVT-Team. Sie geht mir entgegen. Ich sehe, dass sie lächelt. Ich hoffe, sie hat eine gute Nachricht.
Ich könnte jetzt eine gute Nachricht gebrauchen.
In Julias E-Mail heißt es: »Wir haben nichts zu verlieren.« Aber am Ende haben sie alles verloren - ihre Firma, ihr Leben, alles. Und die Ironie des Ganzen ist, dass das Verfahren funktioniert hat. Der Schwarm hat das Problem, das er für sie lösen sollte, tatsächlich gelöst.
Aber dann hat er weitergemacht, sich immer weiter entwik-kelt.
Und sie haben ihn gelassen.
Sie wussten nicht, was sie taten.
Ich fürchte, das wird irgendwann auf dem Grabstein der Menschheit stehen.
Ich hoffe, nicht.
Vielleicht haben wir ja Glück.
Bibliografie
Die Handlung dieses Romans ist rein fiktiv, aber die Forschungsfelder, die darin erwähnt werden, sind es nicht. Die folgende Auswahlbibliografie mag interessierten Lesern dabei helfen, mehr über die immer deutlicher werdende Konvergenz von Genetik,
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