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Beute

Beute

Titel: Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Programme, die die Futtersuche von Ameisen imitierten, um große Kommunikationsnetzwerke zu steuern. Oder solche, die die Arbeitsteilung in Termitenkolonien nachahmten, um Thermostate in einem Wolkenkratzer zu regeln. Und ganz ähnlich funktionierten die Programme, die die Genselektion simulierten und für die es eine ganze Palette von Anwendungen gab. In einem Programm wurden Zeugen eines Verbrechens neun Gesichter gezeigt und gebeten, dasjenige auszuwählen, das dem des Täters am stärksten ähnelte, auch wenn es bei keinem davon wirklich der Fall war; dann zeigte das Programm ihnen neun weitere Gesichter und bat sie erneut um eine Auswahl; und so evolvierte das Programm nach und nach aus zahlreichen Vorschlägen ein überaus präzises Bild von dem Gesuchten, um vieles genauer, als ein Polizeizeichner es vermocht hätte. Die Zeugen mussten nicht sagen, worauf genau sie bei jedem Gesicht reagierten; sie sollten einfach nur ihre Auswahl treffen, und das Programm rechnete. Und dann gab es noch die Biotechnik-Unternehmen, die festgestellt hatten, dass es ihnen nicht gelingen wollte, neue Proteine herzustellen, weil sie sich immer wieder zu seltsamen Konfigurationen zusammenfalteten. Stattdessen »evolvierten« sie nun die neuen Proteine mithilfe der Genanalyse. Alle diese Verfahren waren in der Praxis in nur wenigen Jahren Standard geworden. Und sie wurden immer leistungsstärker, immer wichtiger.
    Also, ja, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Aber ich war nicht passiv, ich hatte Glück gehabt.
    Ich hatte mich noch nicht geduscht oder rasiert. Ich ging ins Bad, streifte mir das T-Shirt über den Kopf und betrachtete mich im Spiegel. Erschreckt bemerkte ich, wie schlaff ich um den Bauch herum aussah. Das war mir noch nie aufgefallen. Sicher, ich war vierzig, und Tatsache war auch, dass ich in letzter Zeit kaum Sport gemacht hatte. Aber ich war nicht deprimiert. Ich hatte einfach mit den Kindern alle Hände voll zu tun, und ich war oft müde. Ich hatte keine Lust zum Sport, mehr nicht.
    Ich starrte mein Spiegelbild an und fragte mich, ob Ellen Recht hatte.
    Das ganze psychologische Wissen hat einen Haken - niemand kann es auf sich selbst anwenden. Man kann einen unglaublichen Scharfblick für die Unzulänglichkeiten seiner Freunde, Partner, Kinder entfalten. Aber sich selbst gegenüber ist man blind. Die gleichen Leute, die mit nüchterner Klarheit ihre Umwelt durchschauen, wiegen sich in Illusionen, wenn es um sie selbst geht. Die Psychologie funktioniert nicht, wenn man in einen Spiegel schaut. Soweit mir bekannt war, gab es für diese Sonderbarkeit keine Erklärung.
    Ich persönlich dachte immer, dass das Programmieren von Computern eine mögliche Erklärung hierfür lieferte, und zwar mit der so genannten Rekursion. Rekursion bedeutet, dass ein Programm sich selbst aufrufen kann, dass es mit seinen eigenen Informationen Dinge immer und immer wieder tun kann, bis es ein Ergebnis erzielt. Rekursion ist nützlich bei bestimmten Algorithmen zur Datensortierung und dergleichen. Aber es ist Vorsicht geboten, man riskiert, dass der Computer in einen so genannten infiniten Regress fällt - das Programmieräquivalent zum Spiegelkabinett, das Spiegel über Spiegel reflektiert, die immer kleiner werden und sich bis in die Unendlichkeit erstrecken. Das Programm läuft weiter, wiederholt sich unablässig, aber nichts geschieht. Der Computer hängt.
    Etwas Ähnliches stellte ich mir immer vor, wenn jemand seinen psychologischen Erkenntnisapparat auf sich selbst anwendet. Der Verstand hängt. Der Denkprozess läuft und läuft, aber er kommt nicht voran. So ähnlich muss es wohl sein, denn wir wissen ja, dass Menschen endlos über sich selbst nachdenken können. Manche denken über kaum etwas anderes nach. Dennoch ändern sich die Menschen nicht infolge ihrer intensiven Selbstbeobachtung. Sie durchschauen sich selbst deshalb nicht besser. Echte Selbsterkenntnis ist äußerst selten.
    Es scheint fast, dass man jemanden braucht, der einem sagt, wer man ist, der einem sozusagen den Spiegel vorhält. Was, wenn man es recht bedenkt, ganz schön verrückt ist.
    Vielleicht aber auch nicht.
    Das Thema Künstliche Intelligenz hat immer wieder die Frage aufgeworfen, ob ein Programm sich jemals seiner selbst bewusst sein kann. Die meisten Programmierer sagen, dass das unmöglich sei. Man hat es versucht und ist gescheitert.
    Es gibt jedoch auch noch eine grundlegendere Version dieser Frage, die philosophische Frage nämlich,

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