Beute
auf der Erde. Erstes Leben entstand vor vier Milliarden Jahren in Form von einzelligen Lebewesen. In den nachfolgenden zwei Milliarden Jahren veränderte sich nichts. Dann tauchten Kerne in den Zellen auf. Das Tempo zog an. Nur einige hundert Millionen Jahre später, vielzellige Organismen. Wieder ein paar hundert Millionen Jahre später, eine explosionsartige Lebensvielfalt. Und die Vielfalt nimmt zu. Vor immerhin schon zweihundert Millionen Jahren gab es große Pflanzen und Tiere, komplexe Lebewesen, Dinosaurier. Gemessen daran ist der Mensch ein Spätzünder: vor vier Millionen Jahren, aufrecht gehende Affen. Vor zwei Millionen Jahren, erste menschliche Vorfahren. Vor fünfunddreißigtausend Jahren, Höhlenmalereien.
Die Beschleunigung ist dramatisch. Würde man die Geschichte des Lebens auf der Erde in vierundzwanzig Stunden zusammendrängen, dann entstanden vielzellige Organismen vor zwölf Stunden, Dinosaurier in der letzten Stunde, die ersten Menschen tauchten vor vierzig Sekunden auf, und den neuzeitlichen Menschen gibt es seit nicht mal einer Sekunde.
Zwei Milliarden Jahre dauerte es, bis in primitiven Zellen ein Kern entstand, der erste Schritt zur Komplexität. Doch es brauchte nur zweihundert Millionen Jahre - ein Zehntel der Zeit -, bis sich vielzellige Tiere entwickelt hatten. Und es waren nur vier Millionen Jahre vom Menschenaffen mit kleinem Gehirn und groben Knochenwerkzeugen bis hin zum modernen Menschen und zur Gentechnologie. So rasant hatte sich das Tempo erhöht.
Das gleiche Muster zeigte sich im Verhalten von verteilten Agentensystemen. Es dauerte lange, bis Agenten »das Fundament gelegt« und die Anfangsarbeit geschafft hatten, doch sobald das erledigt war, ging es sehr schnell voran. Die Fun-damentlegung ließ sich nicht überspringen, genauso wie ein Mensch seine Kindheit nicht überspringen kann. Die vorbereitende Arbeit war unumgänglich.
Doch auch die nachfolgende Beschleunigung war unvermeidlich. Sie war sozusagen in das System eingebaut.
Durch Unterricht verlief die Entwicklung noch zügiger, und dass Julia die Lehrerin gespielt hatte, war ein entscheidender Faktor für das jetzige Verhalten des Schwarms, da war ich mir sicher. Allein schon durch die Interaktion mit ihm hatte sie einen Selektionsdruck in einen Organismus eingeführt, dessen emergentes Verhalten nicht kalkulierbar war. Das war sehr leichtsinnig gewesen.
Der Schwarm - der sich ohnehin schon rasch entwickelte -würde sich in Zukunft noch rascher entwickeln. Und da es sich um einen vom Menschen geschaffenen Organismus handelte, fand diese Reifung nicht auf einer biologischen Zeitskala statt, sondern binnen Stunden.
Mit jeder Stunde, die verging, würde die Vernichtung der Schwärme schwieriger werden.
»Okay«, sagte ich zu David. »Wenn die Schwärme wiederkommen, sollten wir uns allmählich auf sie vorbereiten.« Ich stand auf, verzog vor lauter Kopfschmerzen das Gesicht und ging zur Tür.
»Was hast du vor?«, fragte David.
»Was glaubst du wohl, was ich vorhabe?«, erwiderte ich. »Wir müssen die Dinger umbringen, kaltblütig. Wir müssen sie von der Erdoberfläche tilgen. Und wir dürfen keine Zeit verlieren.«
David rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Von mir aus gern«, sagte er. »Aber Ricky wird das gar nicht gefallen.«
»Wieso nicht?«
David zuckte die Achseln. »Er ist eben dagegen.«
Ich wartete und sagte nichts.
David wurde immer zappeliger, immer verlegener. »Die Sache ist die, Julia und er sind, äh, in dem Punkt einer Meinung.«
»Sie sind einer Meinung.«
»Ja. Sie ziehen an einem Strang. In der Sache, meine ich.«
Ich sagte: »Was willst du mir eigentlich sagen, David?«
»Nichts. Nur was ich gerade gesagt habe. Sie sind beide der Meinung, dass die Schwärme am Leben bleiben sollen. Ich glaube, Ricky wird sich dir entgegenstellen, mehr nicht.«
Ich musste unbedingt mit Mae sprechen. Ich fand sie in ihrem Labor, vor einem Computermonitor, auf dem sie sich Bilder vom Wachstum weißer Bakterien auf dunkelrotem Nährboden ansah. Ich sagte: »Mae, hör zu, ich hab mit David gesprochen, und ich muss - ähm, Mae? Hast du ein Problem?« Sie blickte starr auf den Bildschirm.
»Ich glaube, ja«, sagte sie. »Ein Problem mit der Bakterienzufuhr.«
»Was für ein Problem?«
»Die neuesten Theta-d-Stämme wachsen nicht richtig.« Sie deutete auf ein Bild in der oberen Ecke des Monitors, wo Bakterien zu sehen waren, die in glatten, weißen Kreisen wuchsen. »Das da ist normales
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