Beutewelt 01 - Bürger 1-564398B-278843
02.10.2020, Aktencode: V-LUN-36777192934457656-Z, (89)“).
Frank glotzte wie ein verdutztes Rind, das gegen einen elektrischen Zaun gelaufen war, auf den Bildschirm. So schnell konnte er gar nicht mitdenken, wie ihn dieses Computerprogramm zu einem potentiellen Störfaktor, ja zu einer regelrechten Gefahr für die auf Freiheit und Menschlichkeit basierende Ordnung des weltweiten Systems machte.
Nach einer ganzen Stunde waren die Ausführungen schließlich zu Ende. Es erschien ein neuer Menüpunkt auf dem Bildschirm. Die Frauenstimme mit dem elektronischen Beigeschmack las die Sätze freundlicherweise zusätzlich noch einmal laut und frostig-freundlich vor:
„Wenn Sie die Anklagevorwürfe abstreiten, klicken Sie auf NEIN!“
„Wenn Sie die Anklagevorwürfe zugeben, klicken Sie auf JA!“
Bürger 1-564398B-278843 zögerte, kniff die Augen zusammen und versuchte, seine Gedanken halbwegs zu ordnen.
„Was soll dieser Scheiß? Ich habe nichts, überhaupt nichts Schlimmes getan. Dieser ganze Mist hier ist ein schlechter Witz!“ fauchte Frank durch die Gerichtszelle.
Am liebsten hätte er diesen widerlichen Bildschirm eingetreten. „Ich stimme mit NEIN! Ich habe niemanden verletzt oder so..Nein! Ich klicke verdammt noch mal auf NEIN!“ schrie er plötzlich.
Der Anklagte hämmerte erregt auf die Tasten vor sich und wählte NEIN.
Es dauerte etwa eine halbe Minute. Der Computer arbeitete. „Loading...“ stand in leuchtenden Buchstaben auf dem Bildschirm. Frank fühlte sich für eine Sekunde irgendwie erleichtert.
„Jetzt weiß das Scheißding, dass ich unschuldig bin. Ich habe mich klar ausgedrückt: NEIN! schoss es ihm blitzartig durch den Kopf.
Er lächelte, ein wenig erleichtert, die Anspannung schwoll für die Zeit eines Wimpernschlages ab. Dann bekam er die Antwort des automatisierten Gerichtscomputers mit metallischem Klang und grausam kombinierten Buchstaben auf dem leuchtenden Bildschirm entgegen geschleudert:
„Angeklagter, Sie haben NEIN gewählt! Damit streiten Sie den Anklagevorwurf ab und unterstellen in diesem Kontext unserem von humanistischen Prinzipien geleiteten Rechtssystem, diese nicht zu beachten! Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Auswahl des Menüpunktes NEIN grundsätzlich zu einem erhöhten Strafmaß führt, da es die Uneinsichtigkeit des Angeklagten verdeutlicht...“
IHR URTEIL WIRD GELADEN... LOADING ...
Der junge Mann stockte, seine breiten, dunklen Augenbrauen schoben sich nach oben und seine Augen öffneten sich immer weiter. Sein Mund wurde zu einem staunenden und schockierten Loch, aus dem ein Tropfen herausfiel.
Frank Kohlhaas' Verstand schien blockiert, kurzzeitig auf „Standby“ gestellt. Die Daten waren zu groß und zu schrecklich, um von seinem Gehirn anständig verarbeitet werden zu können. Der biologische Computer unter seiner Schädeldecke schien erst einmal abzustürzen, er hängte sich einfach auf.
Dann schlug ihm der hämisch leuchtende Bildschirm in Zelle 4/211 mit noch größerer Dreistigkeit ins Gesicht. Das Urteil wurde verkündet:
„Bürger 1-564398B-278843! Sie werden hiermit zu 5 Jahren Haft in einem Zentrum für Umerziehung und Resozialisierung verurteilt!
Zur Begründung: Die statistische Wahrscheinlichkeit für theoretische schwere Körperverletzung beträgt in Ihrem Fall 78,11 %!
Die statistische Wahrscheinlichkeit für zukünftiges subversives Verhalten beträgt bei Ihnen 53,59 %! Weiterhin hat sich die Auswahl des Menüpunktes NEIN strafverschärfend auf Ihr Urteil ausgewirkt. Doch seien Sie unbesorgt. Es gibt mittlerweile zahlreiche staatliche Einrichtungen, in denen Menschen wie Sie bestens therapiert werden können, um wieder ein glückliches und angepasstes Leben in unserer humanistischen Gesellschaftführen zu können! Wir danken für Ihr Verständnis!“
Franks Glotzaugen bohrten sich in den Bildschirm und seine Ohren dröhnten. Die elektronische Frauenstimme hallte in seinem Kopf nach wie das Echo einer Atombombenexplosion. Sie wurde zu einem schleimigen Wurm, der sich durch die Ohrmuschel bis ins sein Gehirn vorwärts fraß.
„5 Jahre Haft?!“ stammelte der Mann.
Frank versuchte, sich selbst zu erklären, dass ihn sein Gehör getäuscht hatte, aber es stand in grinsenden Buchstaben auch vor seinem Auge. Beide Sinne konnten sich leider nicht irren. Er war verurteilt. Es stimmte.
Noch in Schockstarre befindlich nahm der Angeklagte kaum wahr, als das elektronische Schloss hinter ihm einrastete und sich die
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