Bevor Alles Verschwindet
so?« Robert
hat keine Lust, dem Kerl etwas über sein Proteststück zu erzählen, er macht es sich leicht.
»Shakespeare.«
»Hört, hört«, ruft Meise theatralisch. »Darunter machen wir es wohl nicht, was?«
»Nein«, sagt Robert, »machen wir nicht.« Stumm stehen sie voreinander.
»Na, dann lasse ich euch Jungs mal für einen Moment allein, ihr habt euch bestimmt viel zu erzählen«, sagt Johanna und damit geht sie weg, und Robert hat den Impuls, ihr hinterherzulaufen, sie zu fragen, was mit Meise passiert sei, wo er abgeblieben ist, der richtige Kumpel.
»Robert, Robert«, sagt Meise.
»Was, was ist denn?«
»Nö, nichts«, sagt Meise und grinst schon wieder, und in Robert steigt die Wut auf. Er reißt sich zusammen, er presst zwischen den Zähnen hindurch:
»Na dann.«
»Gibt es hier noch irgendwo etwas zu trinken? Von der Kaschemme ist ja nicht so viel übrig geblieben, was?« Der Kerl tritt gegen das blecherne Wirtshausschild auf dem Boden, und Robert ist kurz davor, sein Schwert zu ziehen, aber das gehört Marie und ist aus Plastik.
»Was denkt ihr euch eigentlich dabei?«, fragt Meise.
»Wobei?«
»Dabei, hier einen auf Schildbürger zu machen. Ich meine, denkt ihr echt, ihr könntet hier etwas tun?«
»Nein«, sagt Robert. »Aber wir leben nun einmal hier und wir wollen hier sein, solange es geht.«
»Mann, du hättest schon vor Jahren abhauen sollen. Was ist mit deiner, wie hieß sie noch mal?«
»Clara.«
»Ja, genau. Was ist mit der?«
»Es geht ihr gut.«
»Schön.«
»Und, was machst du so?«, fragt Robert. Meise zögert einen Moment, schnippt mit den Fingern, das hat er schon damals gemacht, wenn er nicht wusste, was er sagen soll. Er hat mit den Fingern geschnippt und dann irgendeinen Rhythmus getrommelt und manchmal gesummt. Jetzt gibt es nichts mehr, worauf er trommeln könnte. Jetzt schnippt Meise nur noch.
»Tja, ich würde mal sagen, ich bin auf der anderen Seite.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe da oben ein paar Projekte laufen, nichts Großes. Ich baue zum Beispiel die Schule und das Ozeanum. Also, meine Firma baut das, ich segne nur die Kalkulationen ab.«
»Schön«, sagt Robert. »Ist doch gut.«
»Ja, allerdings. Des einen Freud, du weißt schon.«
»Ja, ich weiß«, sagt Robert, und warum kann Marie jetzt nicht kommen, die kommt doch sonst immer, wenn etwas oder jemand Neues auftaucht.
»Du siehst müde aus«, sagt Meise. »Irgendwie kaputt.«
»Tja«, sagt Robert. »Das ist dann wohl so.«
»Na dann«, sagt der Typ, »ich muss mal wieder.«
»Mach's gut«, sagt Robert
»Ja, du auch. Und Grüße an Clara und viel Glück mit Shakespeare, 'ne. Man sieht sich.«
»Mal sehen«, sagt Robert und der andere geht ab, hebt im Gehen das Schild des Tore vom Boden, hält es mit ausgestreckten Armen in die Höhe, er hält das staubige Ding wie den Europapokal, um es Johanna zu zeigen. Er holt sie bei der Rathaustreppe ab, wo sie neben Milo sitzt und dem Löwen, er zeigt auf das Schild, als wären beide nicht da, Löwe und Milo. Der Kerl geht, in einem Arm das Schild, den anderen um die Frau gelegt, mit ausladenden Schritten dem Parkplatz entgegen, wo wahrscheinlich sein Raumschiff steht und seine neuen Kumpel ihn grün leuchtend in ihre meterlangen Arme schließen.
»Wer war das?«, fragt Marie, endlich ist sie da und nimmt Roberts Hand.
»Irgendein Idiot«, sagt Robert.
»Heikel?«, fragt Marie. Robert nickt.
»Wo ist denn dein Schädel?«, fragt er.
»Unterwegs«, sagt Marie und Robert findet, dass sie traurig klingt.
»Fliegen?«, fragt Robert und Marie nickt, und dann wirft Robert Marie eine Runde durch die Luft.
»Höher!«, ruft Marie. »Höher!« Und Robert wirft sie so hoch er kann und für ein, zwei Sekunden aus der Welt hinaus.
Eleni
Ein paar Tage
Sie können die Tage zählen, nie die Nächte, die sind nur dunkle Verbindungsstücke, randvoll mit Alpträumen und einem schwammigen Wissen, das zwischen Dämmern und Wachsein allmählich verloren geht. Es sind Nächte, die immer kürzer werden, bis zum Untergang bleibt nicht mehr viel Zeit.
Morgen findet das Fest statt, zum Jubiläum, zum Abschied. Und: Es ist tatsächlich noch einmal Sommer geworden. Eleni hat Blumen gepflanzt, schon im April, und die blühen jetzt, im Juni. Die Stimmung hat sich verändert, sie ändert sich täglich, jeder Tag bringt ein neues Verschwinden.
Die Reste des Hauses zum Beispiel, die sind weg, aber im Rathaus fühlen sie sich daheim. Dass Jeremias nicht bei ihnen ist,
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