Bevor Alles Verschwindet
basiert ein Exposé, für eine Doku seiner Tragödie wurde eine Filmförderung gewährt, er ist jetzt verpflichtet, bis zum Untergang. Robert hat sich entschieden, aus dem Ganzen einen Spielfilm zu machen. Vielleicht scheitert er bei dem Versuch, sie könnten ihm auf die Schliche kommen. Robert war nie auf einer Schauspielschule, das könnte ihm nun zum Verhängnis werden. Aber versuchen will er es, das Team an der Nase herumzuführen und für seine Geschichte mehr als nur zehn Zuschauer zu finden.
Robert wird ihnen Leid geben, pures Leid, er wird sie zu Tränen rühren und er hofft, dass er selbst sich dabei nicht echt fühlen wird und betroffen. Robert will Abstand nehmen, endlich auch einmal von außen draufsehen, über den Dingen stehen und Macht haben. Das Stück führt er trotzdem auf, das ist sein Geschenk an die Verbliebenen, an sich selbst, ein letztes Mal wird er auf der Bühne stehen.
Robert spuckt auf den grauen Boden des Platzes, er geht seinen Text in Gedanken durch, markiert die Bewegungen nur, vorsichtig, die Touristen nehmen trotzdem Abstand, sie denken bestimmt, er sei verrückt. Wen soll er fragen, wegen der Einspielungen? Marie? Clara? Milo? Er will sie da nicht mit reinziehen. Nicht einmal Milo, der ihm im Grunde genommen egal ist, der aber schon so lange in seinem Augenwinkel hockt, dass er ein Teil seines Blickes geworden ist und damit ein Teil von ihm.
»Robert Schnee?« Robert kennt diese Stimme, er dreht sich um, das ist niemand, der über ihn in der Lokalzeitung gelesen hat, das ist jemand, den er gut kennt. Robert schaut zu dem kräftigen Mann hoch, der breit grinsend vor ihm steht. Der Mann hat Geheimratsecken, die unter geschickt gekämmtem Resthaar verschwinden sollen, die der hier ungebremst wehende Wind jedoch stoßweise freilegt. Der Mann trägt ein zu enges T-Shirt, und über den rechten Oberarm schleicht ein dunkelblauer Panther. Robert wirft seinen purpurnen Imperatorenmantel über die Schulter und denkt nach, der Mann steht und wartet.
»Meise!«, brüllt Robert dann. »Meise, mein Freund!«
»Alles klar?«, fragt der Mann und macht unwillkürlich einige Schritt zurück.
»Klar«, strahlt Robert, »alles klar! Meise«, lacht er, und Meise huscht ein Lächeln übers Gesicht, er wischt es weg:
»Ach das, Mensch, Robert, das ist schon eine Ewigkeit her, diese albernen Namen.«
»Du hast recht«, sagt Robert und er verkneift sich die Frage, ob Meise noch weiß, wie er Robert früher genannt hat.
»Mensch, Robert, dass du immer noch hier bist. Hätte ich nicht gedacht!« Robert nickt, er weiß nicht, ob er sich dafür entschuldigen soll. Meise wirkt belustigt, und Robert versteht nicht so ganz, was so witzig sein soll. Er ist eben noch hier. Er lebt hier. Wo sollte er sonst sein?
»Du gehörst also auch zu denen, die hier auf stur schalten? Hätte ich nicht gedacht, gerade von dir«, sagt Meise. Robert zweifelt: Ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung? Sollen sie Bier trinken zusammen oder schnellstmöglich wieder Abschied nehmen? Da steht plötzlich sein einziger alter Kumpel vor ihm, von Robert schmerzlich vermisst zwischendurch, wenn auch niemals gesucht, und jetzt versteht er nicht einmal, wie der Kumpel was meint.
Hinter Meise taucht eine Frau auf, ihr Panther läuft über den linken Arm. Robert stellt sich unweigerlich vor, wie sie die Panther abends aneinanderreiben, bevor es zur Sache geht. Er muss einen Moment wegsehen, er wird immer noch schnell rot.
»Hallo«, sagt die Pantherfrau und reicht Robert die Hand. »Ich bin die Johanna.«
»Robert«, sagt Robert und schüttelt ihre Hand. Er mag ihren Händedruck, sie scheint eine korrekte Person zu sein. Korrekt, noch so ein Wort aus der Vergangenheit. Wie hieß Meise noch mal, um Himmels willen, wie war noch mal sein richtiger Name? Robert kann sich nicht erinnern, alles, was er mit diesem Geheimratsmann verbindet, hängt mit Meise und Kröte zusammen.
»Ich kann es einfach nicht fassen«, sagt Meise. »Dass du immer noch da bist.«
»Wo sollte ich denn hin?«, fragt Robert, und er wird langsam ungehalten, wie oft will der das noch sagen? Und wenn Meise nicht aufpasst, landet er dieses Mal in der Traufe und die ist schon länger kein zahmes Flüsschen mehr.
»Feierst du Karneval nach?«, fragt Meise und zeigt auf Roberts Kostüm.
»Ich bin Schauspieler«, sagt Robert. »Deshalb.« Meise nickt ganz ernsthaft und sieht dabei nicht Robert, sondern Johanna an.
»Schauspieler, na so was. Und was spielst du
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