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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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rücken die Bagger an.
    Greta hat das Formular im grauen Umschlag nicht ausgefüllt. Es gibt Gerüchte darüber, wer von den Vorgegangenen sich seine Toten nachliefern lässt, tatsächlich wissen werden
sie es erst, wenn die Gräber ausgehoben sind, das wird hinter einer blickdichten Plane geschehen, niemand soll sich erschrecken. Greta erschrickt aber jetzt schon bei dem Gedanken daran, dass ihre alten Bekannten wieder ans Tageslicht gelangen, dass Luise, Hermine und der stolze Karl zurückkommen könnten, von denen sie sich seinerzeit und einer nach dem anderen auf ewig verabschiedet und um die sie schon genug getrauert hat. Um Luise, Hermine, Karl und die überbordenden Buffets. Greta fühlt sich bestätigt in der Entscheidung, zu Ernst zu gehen. Bald zu gehen, wird ihr nicht schwerfallen, sie sorgt sich nur um die anderen. Wenn sie gemeinsam um Wachos Küchentisch sitzen, merkt sie ihnen an, dass einiges nicht stimmt. Greta will nicht mehr miterleben müssen, was noch geschieht, wie einige von ihnen in sich zusammenstürzen, beim Anblick des großen Wassers.
    Morgen Nacht also, da wird sie sich auf den Weg machen, sie wird das alte Motorrad aus Wachos schiefer Garage holen, sie wird schieben, solange sie noch im Ort ist und dann wird sie fahren, sie wird Gas geben. Greta wird bald da sein, wo sie eigentlich sein soll und will, bei Ernst. Das Kreuz glänzt im Sonnenschein, und Greta macht sich an den Abstieg.
     
    Das Team kommt immer noch hierher, aber es ist nicht länger Roberts Team, sie haben kein gemeinsames »Projekt« mehr. Spätestens bei der Sprengung des Schneehauses hat auch der Letzte von ihnen verstanden, dass da etwas nicht passt. Robert ist zu nah dran am Geschehen, um sie wirklich zu unterstützen.
    Als das Haus fiel, heute Morgen, stand das Filmteam ganz vorn, sie haben darauf verzichtet, mit ihm zu sprechen, aber die Kameras waren auf ihn gerichtet zwischendurch, Robert hat sich die ganze Zeit bemüht, sich neutral zu geben, aber ein neutraler Gesichtsausdruck kann mit der richtigen Musik
unterlegt schnell betroffen wirken, wenn nicht sogar traumatisiert, sie sind Profis. Für sie will Robert keine Rolle mehr spielen, nach ein paar Minuten Neutralität dreht er sich weg und geht zu seiner Familie. Clara und Marie sitzen im verwilderten Garten des Rathauses. Marie lässt ein Wassereis zwischen ihren Fingern schmilzen, Eleni hat ihr Saft eingefroren in einer kleinen Tüte. Marie isst das Zeug nicht, aber sie mag, wie es klebt.
    »Na ihr zwei«, sagt Robert.
    »Na du einer«, sagen die zwei, weil sich das so gehört.
    »Keine Sorge, Papa«, sagt Marie. »Es geht gut aus, aber dafür muss ich da sein bis zum Schluss.«
    »Aber selbstverständlich«, sagt Robert. »Wir drei bleiben bis zum bitteren Ende.« Er setzt sich zu ihnen auf die schwarz gesprenkelten Plastikstühle, er merkt zu spät, dass seinem Stuhl ein Bein fehlt. Sie lachen zu hören, tut gut.
    Clara hat gestern die Praxis geräumt, irgendwann demnächst wird das kleine Gebäude abgerissen. Seit Clara nach dem letzten Abschließen den Schlüssel in die Traufe geworfen hat, ist sie ungewohnt gut gelaunt.
    »Das wird schon«, prustet Clara und: »Ich fange an, mich auf ein ganz neues Leben mit ganz neuen Dingen zu freuen.« Robert stimmt ihr zu und sie sind sich so dermaßen einig, dass sie nicht bemerken, wie sich Maries Blick verfinstert.
    »Guckt mal, der Fuchs fletscht die Zähne«, sagt Marie, aber ihre Eltern gucken nicht mal hin, ihre Eltern lachen sich schlapp und Marie geht weg. Sie weiß nicht, was daran so lustig sein soll.
    Die Verantwortlichen wollen das Jahrhundertfest unterstützen, für morgen bringen sie Würstchen, Bier und eine Hüpfburg.
    »Für die Kleinen«, sagt einer von ihnen.
    »Welche Kleinen?«, fragt Eleni, und der Verantwortliche zeigt auf Marie, die sich gerade auf den Rücken des kopflosen
Löwen setzt und dabei zu der Stelle hinübersieht, an der eben noch ihr Haus gestanden hat.
    »Wir haben nur noch Marie, für Marie allein brauchen wir keine Hüpfburg, wie sieht das denn bitte schön aus, ein einsam springendes Kind?«, fragt Eleni. Aber der Verantwortliche besteht auf der Hüpfburg, und was sich da aus dem Plastik erhebt, ist keine Burg, sondern ein Schloss mit rosafarbenen Türmen, mit einem einhörnigen Pony und einer Prinzessin, die ihr Haar an der Mauer hinunterfließen lässt.
    »Sieh mal, Kleine«, sagt der Verantwortliche und läuft auf Marie zu, die würdigt die Burg keines Blickes. »Sieh mal,

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