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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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antwortete Jude.
    Weil er sich gut auskannte, lief Corey voraus, als sie zu Judes Zimmer hinaufstiegen. Vorsichtig schob er das Fenster im ersten Stock auf und kletterte hinaus auf den schmalen Dachvorsprung. Jude folgte ihm barfuß mit der knisternden Gebäcktüte. Nacheinander schoben sie sich zur seitlichen Hausmauer und zogen sich dort wie Zirkusartisten zum höchsten Punkt hinauf. Dann hockten sie da und starrten hinunter auf das Viertel wie zwei Wasserspeier. Irgendetwas an diesem Aussichtspunkt gefiel Corey und beruhigte ihn, daher schlug Jude seinem Freund dieses Vergnügen nie ab. Manchmal machten sie Witze übers Runterfallen und forderten einander auf, zum Dachrand zu gehen und abzuheben, aber das war bloß Gerede. Keiner von ihnen kam der Kante zu nah, und keiner wollte sehen, dass sich der andere hintraute.
    Obwohl Jude in der Schule und auch woanders leicht Bekanntschaften schloss, blieben manche Teile von ihm abgeschottete, persönliche Orte, die niemand erreichte. Corey war der Einzige, dem Jude dort Zutritt gewährte, sein einziger echter Freund.
    Corey war ein begeisterter Leser und redete wie ein Wasserfall. Er hatte Phasen, in denen er alles von einem bestimmten Autor oder über ein bestimmtes Thema las, bis er dann eines Tages verkündete, dass er »die Schnauze voll« hatte und sich ab jetzt zum Beispiel mit Stephen King oder wahren Morden oder mit allem von Max Brooks beschäftigte. Zombies – oder Walker, wie er sie nannte – spielten für Corey jedoch immer eine große Rolle, weil für ihn die Anwesenheit dieser Untoten alles erklärte, was auf Long Island nicht stimmte.
    »In der Abenddämmerung kommen die Walker raus.« Corey blickte hinunter auf das Vorortviertel und die Nachbarn in Schlapphüten, die im Garten herumwerkelten und sich mit Schere und Gießkanne über Zinnien- und Ringelblumenbeete beugten. Es war ein Bild des amerikanischen Traums, die netten Häuser und die dicken Autos, aber Corey sah etwas Unheimliches darin, eine verborgene Bedrohung. Jude empfand ganz ähnlich, allerdings aus anderen Gründen. Corey Masterson passte nicht in die Gegend. Er war ein Schwarzer in einer überwiegend weißen Nachbarschaft, und auch wenn das fast nie erwähnt wurde – wozu darüber reden? –, war sein Status als Außenseiter eine unleugbare Tatsache. Judes Entfremdung war anders, schwerer zu bestimmen, einfach eine Ahnung, dass er nicht zu diesem oder einem anderen Stamm gehörte. Vielleicht war es das, was die beiden Jungen miteinander verband; sie beobachteten das Geschehen vom Rand aus mit dem gemeinsamen Gefühl, nicht dazuzugehören.
    Corey wies auf eine kleine Gruppe von Nachbarinnen, die sich zusammengefunden hatten. Nacheinander deutete er mit dem Finger auf sie. »Zombie, Zombie, Zombie.«
    Jude glaubte ihm fast, vor allem was die Nachbarin von nebenan, Mrs. Buchman betraf. Sie schnüffelte allen nach, war ständig am Beobachten und freundlich zu jedem, der ihr auf dem Gehsteig begegnete. »Die Frau hab ich noch nie gemocht«, sagte er. »Interessiert sich nur für die Scheiße von den anderen.«
    Corey zog die Augenbraue hoch, verwundert über den Anflug von Wut in Judes Stimme, ging aber nicht weiter darauf ein. Für einen Walker mit drei kleinen blonden Töchtern war Mrs. Buchman ganz in Ordnung. Hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Vielleicht wusste Jude da mehr als er.
    »Zombies sind wie terroristische Schläferzellen. Sie warten nur darauf, dass sie aktiviert werden«, fuhr Corey fort. »Sie leben hier, machen ihre Sachen – kaufen ein, buddeln im Garten, gehen zu Elternabenden –, und dann schaust du eines Tages auf, und sie krallen dir die Augen aus den Höhlen und nagen dir die Knochen ab, als wären es Spareribs!«
    Jude legte sich mit den Händen hinter dem Kopf zurück und beobachtete, wie das Licht am Himmel verblasste.
    »Man fällt total leicht auf sie rein«, warnte Corey. »Du guckst sie an und siehst eine Nachbarin. Die netten Damen, die die Hundekacke aufheben, den Postboten anlächeln und einen Spinnkurs im YMCA machen. Aber sie gucken dich an und sehen ihr Mittagessen.«
    »Du hängst zu viel vor der Glotze rum.«
    »Klar, wer nicht?« Corey grinste. »Gib dir mal diesen Swimmingpool hinter Ansaris Haus, total mit Scheinwerfern beleuchtet.« Corey stieß einen Pfiff aus. »Mann, dieses Wasser ruft meinen Namen. Wir sollten uns mal in der Nacht mit Vinnie und den anderen Jungs rausschleichen und von Pool zu Pool hoppen. Wie viele würden wir wohl

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