Bevor du gehst
schaffen? Was meinst du, Jude, sollen wir uns quer durch den Ort schwimmen? Von einem Pool zum nächsten. Das wär doch ein Trip.«
Jude versank in brütendes Schweigen. An Swimmingpools hatte er keine guten Erinnerungen.
Vor sechs Sommern war seine Schwester Lily im eingebauten Pool hinten im Garten ertrunken. Sie war erst vier Jahre alt. Danach wurde über einen Umzug geredet, um das ganze Elend hinter sich zu lassen, doch aus irgendwelchen Gründen blieben seine Eltern doch. Vielleicht waren sie erstarrt, an diesem Ort festgefroren. Also engagierten sie eine Firma, um das Becken zuzuschütten. Die ganze Woche schaute Jude den Männern bei der Arbeit zu. Mit Presslufthammern bohrten sie Löcher in den Poolboden und rissen die Wände ein. Nach nur einem Tag sah es aus wie nach dem Einschlag einer Bombe. Als Nächstes rückten sie mit einem Bagger an und hievten Betonbrocken heraus. Dann wurde das Loch mit Erde gefüllt, und oben drauf kam eine Schicht Humus für den neuen Garten. Wie gebannt beobachtete Jude von seinem Fenster oben, wie die Arbeiter schufteten. Er fühlte sich, als würde ein Teil von ihm in dieser Lawine aus Dreck und Schutt begraben. Und so beerdigte er Lily ein zweites Mal und drückte die Lippen an die Scheibe, um ihr ein letztes Mach’s gut zuzuflüstern.
Im nächsten Frühjahr mühten sich seine Eltern damit ab, die zerschundene Stelle in einen Gedenkgarten zu verwandeln. Sie zerwühlten die Erde und pflanzten Büsche, Blumen und einen chinesischen Ahorn, stellten eine Bank auf und legten Wege an. Doch schon bald verlor seine Mutter die Lust an der Sache. Durch den Schnee im Winter starb fast alles ab und blühte nie wieder so wie vorher. Eigentlich sollte es ein Garten der Ruhe sein, doch letztlich blieb nichts übrig als ein Verhau zotteliger einjähriger Pflanzen, eine bröckelnde Steinmauer, eine Streukiste für Katzen aus der Nachbarschaft und Unkraut, Unkraut, Unkraut.
So war es eben, überlegte Jude. Alles wurde irgendwann zu Scheiße.
Corey las die Bitterkeit in Judes Gesicht und hätte sich am liebsten einen Tritt versetzt. Wie konnte ihm nach so vielen Jahren so ein blöder Fehler passieren? Finsternis hatte sich um Jude gelegt. Einfach so, schnell wie ein Fingerschnippen. Sie umhüllte ihn, als hätte sich ein schwerer Umhang über seine Schultern gebreitet.
»Wie wär’s mit einem Film?«, schlug Corey vor.
»Heute Abend nicht«, antwortete Jude.
»Dann eben morgen Abend«, drängte Corey. »Wir rufen die Jungs an.«
»Okay.« Jude gab nach. »Morgen.«
7
Am Sonntag stand Jude wieder am Bratrost und arbeitete Seite an Seite mit dem selbsternannten Grillmeister Billy Motchsweller. Judes Blick kehrte immer wieder zu der Kassiererin Becka in dem mittleren Häuschen zurück. Sie sah wirklich nett aus, kein Zweifel. Keine Sexbombe, die Verkehrsunfälle verursachte, wenn sie auf der Straße unterwegs war. Trotzdem hatte Becka etwas an sich, das sie von allen unterschied.
»Kennst du sie?«, fragte Jude.
Billy schaute auf und beäugte Becka mit Kennermiene. »Nicht schlecht. Die würde ich schon abgreifen. Neues Gesicht hier im Laden. Gefällt sie dir?«
»War bloß eine Frage«, antwortete Jude.
Billy nickte. »Ich hab eine Freundin zu Hause, Mann. Seit vier Wochen. Ich bin treu, kein Aufreißer. Ich komm hierher, mach meinen Job, zieh den Kopf ein, rauch ein bisschen Gras und versuche, nicht wie ein Hund allen Tussis mit ihren Stringbikinis hinterherzuhecheln, die sowieso bloß Leerkörper sind. Ich versuch es, ich versuch es wirklich. Aber an manchen Tagen ist es wirklich hart. « Er machte eine obszöne Geste. »Verstehst du, was ich meine?«
Jude verstand, was Billy meinte. Er hätte blöd wie ein Müllwagen sein müssen, um nicht zu verstehen, was Billy meinte. Also lachte er wissend, wie es in solchen Situationen vorgeschrieben war. »Ha-ha-ha.« Bloß zwei Malocher, die ein bisschen quatschen, ganz unter Männern, die mit dem Finger zeigen und rumkeuchen und sich amüsieren. Die Art von Unterhaltung, zu der sich die meisten Typen verpflichtet fühlen: schmutzig, roh, lustig, sexbesessen. Eine gemeinsame Basis wie das Reden über Sport – »Was ist mit den Yankees?« –, ein Ort, an dem sich die Jungs treffen können. Schließlich sind wir alle bloß ein Haufen von geilen Böcken, oder? Jude war nicht so gepolt, aber er kannte die Spielregeln. Er war hier, um zu arbeiten, nicht, um Wellen zu schlagen. Für die Gezeiten war die Mondanziehung
Weitere Kostenlose Bücher