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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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nicht nachsehen sollen.«
    Ich mache die Schranktür zu und gehe zurück zum Wasserkocher.
    Während ich Wasser auf die Teebeutel gieße, zähle ich. Zoey ist Anfang des vierten Monats. Ein Baby wächst neun Monate im Bauch. Es wird im Mai zur Welt kommen, genau wie ich. Ich
mag den Mai. Es gibt zwei lange Feiertagswochenenden. Kirschblüten. Glockenblumen. Rasenmäher. Den betörenden Duft von frisch gemähtem Gras.
    Bis zum Mai sind es noch einhundertvierundfünfzig Tage.

DREIUNDZWANZIG
    C al kommt mit ausgestreckter Hand vom hinteren Ende des dunklen Gartens angetrottet. »Nächstes bitte«, sagt er.
    Mum öffnet die Schachtel mit Feuerwerk auf ihrem Schoß. So als suchte sie sich eine Praline aus, zupft mit spitzen Fingern eins raus und liest die Beschriftung, bevor sie es weiterreicht.
    »Verwunschener Garten«, sagt sie ihm.
    Damit rennt er zurück zu Dad. Beim Laufen klatschen die Schäfte seiner Gummistiefel gegeneinander. Mondlicht sickert durch den Apfelbaum und fließt auf das Gras.
    Mum und ich haben uns Stühle aus der Küche geholt und sitzen zusammen neben der Hintertür. Es ist kalt. Unser Atem wie Rauch. Jetzt ist der Winter da, die Erde riecht feucht, als kauerte sich das Leben zusammen, die Dinge ducken sich, sparen ihre Energie.
    Mum fragt: »Weißt du eigentlich, wie richtig furchtbar das ist, wenn du abhaust und nicht Bescheid sagst, wo du bist?«
    Da sie die größte Expertin aller Zeiten fürs Verschwinden ist, lache ich darüber. Sie sieht überrascht aus, hat die Ironie offenbar nicht erfasst. »Dad hat gesagt, du hast zwei Tage durchgeschlafen, als du zurückgekommen bist.«
    »Ich war müde.«
    »Er hatte große Angst.«
    »Und du?«
    »Wir alle beide.«
    »Verwunschener Garten!«, sagt Dad an.

    Plötzlich knattert es, und Lichtblüten erblühen in der Luft, breiten sich aus, ehe sie herabsinken und über dem Gras verglühen.
    »Ahhh«, macht Mum. »Das war schön.«
    »Das war langweilig«, ruft Cal, der zu uns zurückgaloppiert.
    Mum klappt die Schachtel wieder auf. »Wie wär’s mit einer Rakete? Wär das vielleicht besser?«
    »Eine Rakete wär toll!« Cal rennt im Glückstaumel durch den Garten, bevor er sie an Dad weiterreicht. Zusammen sto ßen sie den Stock in den Boden. Ich denke an den Vogel, an Cals Kaninchen. An all die Lebewesen, die in unserem Garten gestorben sind und deren Skelette sich unter der Erde gegenseitig anstoßen.
    »Warum ans Meer?«, fragt Mum.
    »Da hatte ich halt Lust drauf.«
    »Warum mit Dads Auto?«
    Ich zucke die Schultern. »Autofahren war auf meiner Liste.«
    »Weißt du«, sagt sie, »du kannst nicht rumlaufen und alles machen, was dir gefällt. Du musst Rücksicht auf die Leute nehmen, die dich lieben.«
    »Auf wen?«
    »Auf die Leute, die dich lieben.«
    »Jetzt kommt was Lautes«, sagt Dad. »Ohren zuhalten, die Damen.«
    Die Rakete fliegt mit einem einzigen Knall los, so laut, dass sich seine Schwingungen in mir ausbreiten. Schallwellen brechen sich in meinem Schädel. Mein Hirn fühlt sich an wie unter Flut.
    Mum hat noch nie gesagt, dass sie mich liebt. Nicht einmal. Wird sie wohl auch nie. Jetzt wäre es zu offensichtlich, würde zu sehr nach Mitleid riechen. Es wäre peinlich für uns beide. Manchmal frage ich mich, was für leise Botschaften wohl vor meiner Geburt zwischen uns hin- und hergewandert sind, als ich klein
und dunkel in ihr zusammengerollt war. Aber nicht besonders oft.
    Sie rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. »Tessa, hast du vor, jemanden umzubringen?« Das hört sich beiläufig an, aber womöglich ist es ihr sogar ernst damit.
    »Natürlich nicht!«
    »Gut.« Sie sieht wirklich erleichtert aus. »Also, was steht als Nächstes auf deiner Liste?«
    Ich bin überrascht. »Das willst du wirklich wissen?«
    »Wirklich.«
    »Okay. Als Nächstes kommt Ruhm dran.«
    Betroffen schüttelt sie den Kopf, aber Cal, der sein nächstes Feuerwerk abholen will, findet das irre komisch. »Probier doch mal aus, wie viele Trinkstrohhalme du dir auf einmal in den Mund stecken kannst«, sagt er. »Der Weltrekord liegt bei zweihundertachtundfünfzig.«
    »Das muss ich mir noch überlegen«, antworte ich ihm.
    »Oder du könntest dich am ganzen Körper wie ein Leopard tätowieren lassen. Oder wir könnten dich in deinem Bett über die Autobahn schieben.«
    Mum mustert ihn nachdenklich. »Einundzwanzig-Schuss-Brillantfeuerwerk«, sagt sie.
    Wir zählen sie. Sie schießen mit einem sanften »Ft« in die Höhe, bersten als Sternenhaufen und segeln

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