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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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vor seinem Tor an, schaltet den Motor ab und das Licht aus. Stille und Dunkelheit herrschen wieder, während er seinen Helm abnimmt, an den Lenker hängt und sein Zweirad die Auffahrt raufschiebt.
    Ich glaube so ziemlich an das Chaos. Wenn Wünsche wahr würden, täten meine Knochen nicht so weh, als ob jedes Fitzelchen in ihnen verbraucht wäre. Da wäre kein Dunstschleier vor meinen Augen, den ich nicht wegwischen könnte.
    Aber Adam zuzusehen, wie er den Weg raufgeht, kommt mir wie eine bewusste Entscheidung vor. Auch wenn das ganze Universum ein Zufallsprodukt ist, kann ich doch Neues entstehen lassen.
    Ich steige über das niedrige Mäuerchen zwischen unseren Vorgärten. Er schließt die Maschine an das Tor neben seinem Haus. Und sieht mich nicht. Ich nähere mich von hinten, sehr stark und selbstsicher.
    »Adam?«

    Erschreckt fährt er herum. »Scheiße! Ich hab gedacht, du wärst ein Gespenst!« Er hat einen frisch-kalten Geruch an sich, wie ein Tier, das aus der Nacht kommt. Ich gehe einen Schritt näher auf ihn zu.
    »Was machst du da?«, fragt er.
    »Wir haben gesagt, wir wollten Freunde sein.«
    Er schaut verwirrt aus. »Ja?«
    »Aber das will ich gar nicht.«
    Es gibt einen Zwischenraum zwischen uns, und in dem Zwischenraum ist Dunkelheit. Ich gehe einen Schritt weiter, so nahe an ihn ran, dass sich unser Atem vermischt. Eins wird. Ein und aus.
    »Tessa«, sagt er. Ich weiß, dass das eine Warnung ist, mache mir aber nichts draus.
    »Was kann schon Schlimmes geschehen?«
    »Es wird wehtun«, sagt er.
    »Es tut jetzt schon weh.«
    Er nickt ganz langsam. Und es ist wie eine Lücke in der Zeit, als ob alles stillsteht und sich diese eine Minute, in der wir einander aus so großer Nähe ansehen, zwischen uns ausdehnt. Als er sich zu mir herabbeugt, spüre ich, wie mich eine seltsame Wärme durchströmt. Ich vergesse, dass es in meinem Hirn nur so wimmelt von jedem traurigen Gesicht an jedem Fenster, an dem ich je vorbeigekommen bin. Während er näher kommt, spüre ich nur die Wärme seines Atems auf meiner Haut. Wir küssen uns ganz sanft. Fast überhaupt nicht, als wären wir uns nicht sicher. Nur unsere Lippen berühren sich.
    Wir weichen wieder zurück und sehen uns an. Was für Worte gibt es für den Blick, der von mir zu ihm und wieder zurückwandert? Um uns her sammeln sich alle Nachtgestalten und gucken. Die verloren geglaubten Fundsachen.
    »Scheiße, Tess!«
    »Ist gut«, sage ich ihm. »Ich geh nicht kaputt.«

    Und zum Beweis schubse ich ihn gegen seine Hausmauer und nagle ihn dort fest. Und diesmal geht es nicht um Zärtlichkeit. Meine Zunge ist in seinem Mund, stöbert, trifft auf seine. Seine Arme umschließen mich warm. Seine Hand ist hinten an meinem Nacken. Dort schmelze ich. Meine Hand gleitet seinen Rücken runter. Ich presse mich näher, aber nicht nah genug. Ich will in ihn reinkriechen. In ihm leben. Er sein. Alles ist Zunge und Verlangen. Ich lutsche an ihm, knabbere an den Ränder seiner Lippen.
    Ich wusste ja gar nicht, dass ich so einen Hunger habe.
    Er macht sich los. »Scheiße«, sagt er. »Scheiße!« Und fährt sich mit der Hand durch die Haare, die feucht glänzen, tierdunkel. Die Straßenlaternen flackern in seinen Augen. »Was passiert mit uns?«
    »Ich will dich«, sage ich ihm.
    Mein Herz hämmert. So lebendig war ich noch nie.

VIERUNDZWANZIG
    Z oey hätte mich nicht bitten sollen, sie zu begleiten. Seit wir zur Tür hereingekommen sind, konnte ich nicht mit Zählen aufhören. Seit sieben Minuten sind wir hier. In sechs Minuten hat sie ihren Termin. Vor fünfundneunzig Tagen ist sie schwanger geworden.
    Ich versuche, an x-beliebige Zufallszahlen zu denken, aber jede scheint etwas Bestimmtes zu ergeben. Acht – so viele blickdichte Fenster sind in der Wand gegenüber. Eins – die ebenso undurchsichtige Empfangsschwester. Fünfhundert – so viele Pfund kostet es Scott, das Baby loszuwerden.
    Zoey schickt mir ein nervöses Lächeln über den Rand ihrer Zeitschrift hinweg. »Wetten, im städtischen Krankenhaus kriegst du so was nicht geboten.«
    Wie wahr. Hier sind die Sessel aus Leder, auf einem großen quadratischen Couchtisch stapeln sich die Hochglanzzeitschriften, und es ist so warm, dass ich mir die Jacke ausziehen musste. Ich hatte mir den Raum voll mit Mädchen vorgestellt, die mit verzweifelten Gesichtern Taschentücher in Händen kneten, aber Zoey und ich sind die Einzigen hier. Sie hat ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gerafft und trägt schon wieder ihre

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