Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

am Tatort gefunden. Noch dazu waren die Techniker im Zweifel, ob sich das versprochene DNA -Profil überhaupt erstellen ließ, mit dem als Grundlage sie die Daten eines möglichen Verdächtigen abgleichen konnten.
    Die Ermittlungen mussten sich nun auf den Umkreis des Opfers konzentrieren, und sein Gespräch mit Mikkel Spang-Hansens Freundin hatte gezeigt, dass der Journalist mehr Facetten gehabt hatte als von Thor angenommen. Aber auch diese Spur hatte, abgesehen von den Drohbriefen, nichts ergeben, dem er weiter hätte nachgehen können. Vermutlich gehörten die Mails nur zu den üblichen Beschimpfungen, denen alle ausgesetzt waren, die im Licht der Öffentlichkeit standen. Dennoch arbeiteten die Kollegen daran, den Absender der IP -Adresse ausfindig zu machen. Katrine Willemoes hatte außerdem erzählt, dass sie ihren Freund in letzter Zeit nicht oft zu Gesicht bekommen hatte. Teils, weil sie selbst auf Tournee gewesen sei, teils, weil er sich in eine Recherche gestürzt habe. Sie hatte jedoch betont, dass in der Beziehung trotzdem alles in Ordnung gewesen wäre. Schließlich hatte sie ihm einen Pappkarton mit Ringheftern überreicht, in denen Spang-Hansen sämtliche seiner Artikel akribisch in chronologischer Reihenfolge abgeheftet hatte. Noch ein Puzzleteil, das nicht zu Thors erstem Eindruck von einem smarten und oberflächlichen Journalisten passen wollte.
    Thor hatte Kraus und Ewald darauf angesetzt, einen genaueren Blick auf Spang-Hansens Artikel zu werfen und alle seine Notizen auf dem Laptop durchzugehen, genau wie seine Verabredungen und Kontakte im Handykalender. In den letzten Notizen des Journalisten ging es um die finanziellen Verhältnisse ausländischer Transportunternehmen, die auf den ersten Blick keine Verbindung zu Dänemark zu haben schienen. Es gab auch keine Namen und Details oder andere Hinweise, die sie weiterbrachten. Sie waren übereingekommen, dass Ewald mit einer systematischeren Analyse des Materials weitermachte, während Kraus das Umfeld des Opfers unter die Lupe nahm. Seine Freundin hatte auch erzählt, dass Spang-Hansen so stolz darauf gewesen war, ein Eisbader zu sein, dass nicht nur jeder wusste, wo und wann er seinen Körper in das eiskalte Wasser tauchte, sondern auch, dass er immer der erste Mann am Platz war. Damit hatten sie die Hoffnung verloren, dass sich der Kreis der Verdächtigen wie in einem englischen Fernsehkrimi auf die anderen Mitglieder des Badevereins »Vikingerne« beschränkte. Mehr denn je brauchten sie dringend einen Zeugen.
    Im selben Moment streckte plötzlich der Ladenbesitzer seinen Kopf aus der Tür und unterbrach Thors Gedanken.
    »Griffenfeldsgade«, rief er. »Sie sagt, sie könne sich erinnern, dass sie ihr dort begegnet ist.«
    Thor bedankte sich und sah auf die Uhr. Dann beschloss er, diese letzte Chance noch wahrzunehmen und einen Ausflug nach Somaliland zu machen – wie das sanierte Viertel um die Griffenfeldsgade offenbar liebevoll genannt wurde –, ehe er zum Politigården zurückkehrte.
    *
    Der Händler griff nach dem Laptop, und Warwick ließ sofort los.
    »You decided?«, fragte er.
    »Yes«, antwortete Warwick in demselben Pidgin-Englisch. »Me decided.«
    Und mit diesen Worten packte er die linke Hand des Verkäufers. Er legte die eine Hand auf den Spann und umschloss mit der anderen die Faust des Mannes, machte in derselben Bewegung eine halbe Drehung und übte nach unten Druck aus. Der Händler konnte nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen, ehe er zusammensackte und auf den Rücken fiel. Warwick lockerte seinen Griff nicht, sondern setzte dem Mann seinen schweren Schuh auf den Hals und bedeutete ihm mit einem Nicken, dass er lediglich fest zutreten musste, und der Verkäufer hätte nie wieder Sorgen im Leben. Aus dem Augenwinkel registrierte Warwick, dass die anderen Leute, falls sie überhaupt etwas bemerkt hatten, entweder gleichgültig waren oder sich lieber nicht einmischten.
    Der Blick des Mannes war leer, als er zu Warwick aufsah.
    Das war im Grunde die Herausforderung im ganzen Geheimdienstwesen – dass man letzten Endes immer für alles allein verantwortlich war. Wenn Warwick jetzt als dänischer Agent im Ausland operierte, war er Regierung, Polizei und Gericht in einem und musste selbst entscheiden, was richtig war. Er hatte keine Möglichkeit, darauf Rücksicht zu nehmen, was legal war, da er sich in einer Grauzone bewegte, die im Gesetz nicht vorgesehen war. Und wenn man das alles aus einer umfassenderen Perspektive