Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Dunkelheit. Währenddessen fuhr sie ihren PC hoch und fluchte einmal mehr darüber, dass sie mit ihrem MacBook keinen Zugriff auf das Netzwerk hatte, so dass sie die stationären Rechner des Instituts benutzen musste, wenn sie nach etwas suchte.
    »Spang-Hansen, hier haben wir die Röntgenbilder.«
    Linnea zog einen Stuhl heran, damit Thor sich neben sie setzen und die Bilder sehen konnte. Sie zeigte auf den Bildschirm.
    »Du weißt ja, dass man – genau wie du von organisierten und desorganisierten Tatorten sprichst – zwischen geplantem Mord und Mord im Affekt unterscheidet. Die Verletzungen, die dabei entstehen, sind völlig unterschiedlich. Schau dir mal die Röntgenbilder von Spang-Hansen an. Er hat überall am Körper Stichverletzungen, aber diese Schnitte an den Fersen sind anders. Zwei verschiedene Verletzungsarten. Das hätte mir schon an der Badeanstalt auffallen müssen, aber es war ja auch ein ziemlich eiliger Durchgang, und Collin hat es bei seiner Obduktion wohl auch nicht bemerkt, denn er war ja nicht in Ruanda wie ich.«
    Thor runzelte die Stirn.
    »Was sagst du da – heißt das, wir haben es mit zwei Tätern zu tun?«
    Linnea schüttelte den Kopf.
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber es sind die gleichen Verletzungen. Genau wie bei den Leichen der drei dänischen Entwicklungshelfer.«
    Thor sah sie noch immer verständnislos an. Sie holte tief Luft und versuchte sich verständlich zu machen.
    »Die Verletzungen sind identisch mit denen der Toten aus Mogadischu.«

20
    M an könnte fast meinen, es wäre das Werk dieses Pferdeschlachters«, sagte Tage Ewald. »Er hat auf dem Eis ein Pferd zerstückelt und es in Einmachgläser verteilt, irgendwo in Himmerland. Aber du bist vielleicht noch zu jung, um dich daran zu erinnern. Teufel auch, wie hieß dieser Typ noch?«
    »Die Aktion war ein Protest gegen den Vietnamkrieg und fand auf einem Acker in Hornsherred statt«, erwiderte Thor. »Du darfst nicht vergessen, dass ich in einer jütländischen Hippie-Kommune aufgewachsen bin.«
    Es war Montagnachmittag, und Ewald studierte auf seinem Laptop die Fotos, die das Kriminaltechnische Center an der Badeanstalt aufgenommen hatte. Thor hörte dem Geplauder des älteren Kommissars aber gar nicht richtig zu. Er schrieb gerade eine interne Notiz zu Linneas Überlegungen, dass die Messerstiche teils kontrolliert und teils im Affekt ausgeführt worden waren. Doch ohne eine Tatwaffe brachte sie das auch nicht viel weiter. Sie hatten vergeblich den gesamten Amager Strandpark abgesucht und sogar Taucher unter das Eis geschickt.
    Allmählich fand sich der Rest der Gruppe ein. Thor hatte schon am frühen Morgen zu einer Besprechung einberufen, und die Luft wurde feucht, weil die Mitarbeiter mit Schneeresten an Schuhen und Hosen hereinkamen. Als sie vollzählig waren, saßen sie zu acht um den Tisch herum und griffen nach den Thermoskannen mit Kaffee und Tee, und Thor stellte denjenigen, die noch nicht mit ihr zusammengearbeitet hatten, May Tantawi vor.
    »Es mag schon sein, dass diese Spur ziemlich dünn ist«, sagte Thor zu der Runde. »Aber inzwischen ist fast eine Woche vergangen, und wir haben einfach keine anderen Anhaltspunkte im Mordfall Spang-Hansen. Keine weiteren Spuren einer unbekannten dritten Person, keine Spur von der verschwundenen Anisa. Vor seinem Tod hat Spang-Hansen an einer Reportage gearbeitet, bei der es möglicherweise auch um eine international agierende Waffenhändlerin ging. Es kann also nicht schaden, ein wenig in dieser Richtung Nachforschungen anzustellen. Und da keiner von uns ein Experte auf diesem Gebiet ist, habe ich May Tantawi gebeten, uns ein bisschen Hintergrundwissen zu vermitteln.«
    Tantawi war halb Ägypterin und halb Dänin. Sie war in Alexandria geboren und in Herlev aufgewachsen. Seit November gehörte sie zum Ermittlerteam, und jeder der harten Jungs in der Gruppe schien ihren braunen Augen verfallen zu sein. Die wenigen anderen weiblichen Mitarbeiter hatten nur mit freundlichem Kopfschütteln auf das allzu voraussehbare Verhalten der Männer gegenüber einer jungen weiblichen Kollegin reagiert. Zuvor hatte sie fünf Jahre beim Nachrichtendienst der Polizei gearbeitet, und Gerüchte besagten, dass sie unehrenhaft entlassen worden sei, aber das hatte man Thor gegenüber bisher weder bestätigt noch entkräftet.
    »Ich war bei der Beschattung des Waffenhändlers Victor Bout in Kopenhagen dabei«, berichtete Tantawi. »Es war eine Zusammenarbeit vom PET und dem CIA , die