Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Ort sein.«
»Sind sie aber nicht.«
»Dann kann es sich höchstens noch um Minuten handeln.«
»Na, hoffentlich haben wir die.«
Thor sah sich um, während er mit dem zentralen Einsatzleiter sprach. Er war soeben aus dem Auto gestiegen, am Ende des kleinen Kieswegs an der Schleuse, der auch Ved Slusen hieß. Im Grunde war es kein Wunder, dass er vor den Streifenwagen angekommen war. Er hatte sich sofort in den ersten freien Zivilwagen im Keller unter dem Politigården gesetzt und alle Straßenverkehrsregeln außer Acht gelassen, um durch Sydhavn zu rasen. Bisher hatte das Telecenter keine weitere Aktivität von Anisas Handy registriert. Hoffentlich war er doch noch rechtzeitig gekommen.
»Sag ihnen, dass sie Dampf machen sollen!«, sagte Thor. »Und auf mich warten.«
»Das wissen sie schon …«
»Sie sollen auf keinen Fall selbst hineingehen«, fiel er dem Einsatzleiter ins Wort, bis dieser protestierte, dass Thor das alles inzwischen schon mehrfach gesagt hätte. »Und sag ihnen, dass sie ein bisschen weiter weg parken sollen, oben am Lossepladsvej oder Selinevej, damit sie kein Aufsehen erregen.«
Er legte auf und versuchte, sich einen Überblick über die Gegend zu verschaffen. Direkt vor ihm lagen die Schleuse und die kleine Fußgängerbrücke über die Hafeneinfahrt hinüber nach Sluseholmen mit seinen modernen Wohnkomplexen. Sie waren ein Traum aus Stahl und Glas, eine Hightech-Version von Venedig, mit kleinen Kanälen zwischen den Gebäuden, mit Licht und Wasser, inmitten des alten Arbeiter- und Industrieviertel von Sydhavn.
Der Kontrast zur anderen Seite des Schleuseneinlaufs war sicht- und greifbar. Thor drehte sich um und ging zurück, vorbei an dem alten Schleusenwärterhaus, das einsam mitten in einem merkwürdigen Niemandsland stand. Diese Seite des Hafens bis zum Amager Fælled war eine Mischung aus rustikalen Schrebergartenhütten, Bootsschuppen und struppiger Wildnis. Jetzt war alles von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, die das Ganze ordentlicher aussehen ließ als üblich.
Irgendwo dort drinnen hielt Anisa sich versteckt.
Einige Rentner und Mütter mit Kinderwagen machten auf der anderen Seite des Wassers einen Nachmittagsspaziergang, aber hier war Thor allein, abgesehen von einer einsamen Gestalt, die zwischen den kleineren Booten am Rande von Nokken umherging. In den letzten Tagen war die Temperatur ein wenig gestiegen, und die Fahrrinne war wieder frei. Er spürte, wie der Schnee sein Gesicht traf. Bald würde es dunkel werden, aber eigentlich sollte die Aktion bis dahin längst überstanden sein.
Es gab noch immer viele offene Fragen, aber Thor konnte sich allmählich ein Bild machen. Alles hatte damit angefangen, dass Carl Henrik Gunnerus Poulsen mit Waffen handelte. Und ganz gleich, wie idealistisch er sich gab, liefen diese Geschäfte schon seit Jahren. Adèle de Clermont-Tonnere war seine Maklerin gewesen, während Vibe Herzog für die finanziellen Transaktionen und die Verschleierung seines Engagements zuständig gewesen war. Offenbar war alles gutgegangen, bis der Journalist Mikkel Spang-Hansen eines Tages auf eine Spur stieß, die ihn direkt zu Gunnerus führte.
Nachdem er einige Zeit gegrübelt hatte, holte Thor sein Handy heraus und rief Gunnerus an. Er starrte in Richtung Nokken und wartete, bis der andere sich meldete.
»Wir haben Anisa gefunden!«, sagte er sofort.
»Oh, Gott sei Dank! Ist ihr etwas zugestoßen?«
Gunnerus war sofort ans Telefon gegangen und hatte ohne das kleinste Zögern reagiert. Seine Mischung aus Erleichterung und Besorgnis klang echt.
»Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass sie der Morde an Mikkel Spang-Hansen und Vibe Herzog verdächtigt wird«, fuhr Thor fort. »Wir wissen noch nicht, was ihr Motiv war, aber die Spuren am Tatort lassen keinen Zweifel.«
»Das kann nicht sein«, erwiderte Gunnerus. »Ich kenne sie besser als jeder andere. Glauben Sie mir.«
Anschließend teilte Thor ihm dasselbe mit, was Kraus Linnea gesagt hatte, als er sie abgeholt hatte. Dass sie ein bekanntes Gesicht bräuchten, wenn sie Anisa festnahmen, damit diese sich sicher fühlte und nicht zusammenbrach oder zusätzlichem Stress ausgesetzt war. Gunnerus willigte natürlich sofort ein, ihnen zu helfen, wiederholte allerdings, er sei überzeugt, dass sie sich täuschten. Sie vereinbarten, sich in einer halben Stunde auf Ved Slusen zu treffen, und Thor beendete das Gespräch.
Jetzt konnte er nur noch warten. Alles deutete darauf hin, dass Gunnerus den Köder
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