Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
unbedingt«, erwiderte Bente. »Aber das kann er sich wohl ausmalen, wenn er weiß, dass Mikkel dein Sohn war. Weiß Carl das?«
Ansgar sank in sich zusammen.
»Keine Ahnung, verdammt, vielleicht, ach, lasst mich doch in Ruhe.«
Ansgar konnte seine Worte nur noch stammeln, doch Martin war bereits in eine noch höhere Tonlage gefallen: »Und was meinst du, wer als Nächstes dran ist?«
58
K raus drückte das Gaspedal durch, so dass er gerade noch bei Gelb über die Kreuzung neben der S-Bahn-Station Dybbølsbro raste. Und Linnea begriff allmählich, dass die von ihm beschriebene Theorie gar nicht so unwahrscheinlich war.
»Sie wäre dazu imstande gewesen«, sagte sie nachdenklich. »Ich meine, rein psychologisch gesehen. Sie hat unfassbare Gräuel erlebt, und sie hat es hinter sich gebracht. Es ist eine Erfolgsgeschichte, aber das muss eine enorme therapeutische Arbeit erfordert haben, auf die sie vermutlich niemals ganz wird verzichten können. Ich kenne mich damit natürlich nicht aus, würde aber vermuten, dass sie ohne festen Rahmen und Hilfe geradewegs wieder in die alten Traumata zurückfällt. Eine Rückreise in die Alpträume ihrer Vergangenheit sozusagen.«
Kraus nickte.
»Etwas Ähnliches hat Bloch auch gesagt. Sie meinte, dass Anisa psychisch instabil wäre und im Grunde keinen eigenen Willen besitzt. Erst hat sie als Kindersoldatin eine Gehirnwäsche durchlaufen, und dann wurde sie im Laufe der Therapie sozusagen umprogrammiert, um wieder ein Mensch zu werden.«
Jetzt befanden sie sich auf der langen, geraden Ingerslevgade, und Kraus konnte erneut beschleunigen.
»Jemand hat sie manipuliert«, meinte Kraus dann. »Ihre latente Wut wurde ausgenutzt, um wieder eine Mordwaffe aus ihr zu machen.«
Linnea schüttelte fassungslos den Kopf, während sie in die kleinen Straßen hineinblickte, die zum Sønderboulevard, der Istedgade und dem übrigen Vesterbro führte. Ihr wurde klar, was Kraus damit andeutete, und sie konnte sich nicht entscheiden, welche Vorstellung sie irrsinniger fand.
»Hör dir das an«, sagte Kraus.
Er fummelte mit einer Hand vergeblich an irgendetwas herum und bat sie schließlich um Hilfe. Linnea nahm den MP 3 -Player und das Kabel entgegen, das er ihr reichte.
»Der muss ans Autoradio angeschlossen werden«, erklärte Kraus. »Es hat einen USB -Anschluss. Das ist eine Aufnahme, die Thor von einer anonymen Quelle zugespielt wurde. Einem Mann, der nicht damit einverstanden war, wie vertuscht werden sollte, dass Spang-Hansen und Herzog und vielleicht auch die drei Dänen in Somalia geopfert wurden, damit dieser umfangreiche Waffenhandel nicht auffliegt. Vielleicht hilft dieser Mann uns auch nur, weil er fürchtet, selbst als Sündenbock geopfert zu werden. Jedenfalls handelt es sich um ein aufgezeichnetes Gespräch, dass Vibe Herzog kurz vor ihrer Ermordung führte. Ich glaube, sie ruft den Mann an, der für ihren Tod verantwortlich ist. Sie gab sozusagen ihre eigene Ermordung in Auftrag.«
Linnea starrte auf das Autoradio, als die Aufzeichnung anfing. Es war nur ein kurzer Wortwechsel. Zuerst sprach die Frauenstimme, die Linnea einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Ganz am Anfang klang sie noch kontrolliert und wohlmoduliert, doch anschließend war es, als würde sie implodieren. Die kühle Fassade ließ sich nicht länger bewahren, und die Furcht schimmerte immer mehr hindurch.
»Ich hatte gerade Besuch«, sagte die Frau.
Es folgte eine kurze Pause.
»Du hast gesagt, alles wäre vorbei«, fuhr sie fort. »Du hast mir versprochen, dass es längst aufgehört hätte. Aber das stimmt anscheinend nicht.«
Diesmal antwortete der Gesprächspartner sofort.
»Du hast recht, wir müssen uns unterhalten. Wir sollten uns treffen. Ich fahre gleich los. Das passt sowieso wunderbar, denn ich brauche deinen rechtlichen Beistand. Eine gemeinsame Freundin benötigt Hilfe, weil sie eine Zeitlang untertauchen muss. Genau das Richtige für dein humanistisches Herz.«
Das Knistern der Telefonverbindung hielt noch einige Sekunden an, dann wurde aufgelegt. Länger war die Aufnahme nicht, aber das war auch nicht nötig. Einen Moment lang bemerkte Linnea nicht mehr, was um sie herum geschah, dann sah sie Kraus an. Die andere, männliche Stimme hatte nicht einen Augenblick geschwankt oder gezögert. Sie war von Anfang bis Ende fest und entschlossen gewesen, und Linnea hatte sie sofort erkannt.
»Diese Stimme«, sagte sie. »Das war Gunnerus.«
*
»Jetzt müssten beide Wagen vor
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