Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
vorn.
»Das Bella Center liegt direkt dort«, erklärte sie. »Da ist in dieser Woche eine NGO -Konferenz, die er sicher von heute Vormittag an besucht hat.«
Im selben Moment machte Kraus eine Vollbremsung. Die Schilder vor ihnen forderten wegen Bauarbeiten eine Geschwindigkeitsbegrenzung von vierzig Stundenkilometern unter der Brücke bei der Sydhavn Station. Da die Straße allerdings auf beiden Seiten aufgerissen worden war, kam der Verkehr in der Realität fast zum Stillstand.
Jetzt meldete sich der Funk erneut.
»Er ist dabei, ein Boot startklar zu machen«, verkündete der Kollege. »Es sieht so aus, als würde er gerade die Leinen werfen. Was sollen wir tun, wenn er abhaut?«
Kraus brauchte nicht lange nachzudenken.
»Wir erreichen Thor gerade nicht, aber Anisa hat Priorität«, sagte er. »Geht zum Schuppen und vergewissert euch, dass sie sich dort aufhält und ihr nichts zugestoßen ist. Aber denkt dran, dass sie bewaffnet sein könnte. Und dann wartet ihr, bis wir da sind.«
Er wandte sich mit einem gestressten Blick Linnea zu, aber die nickte nur, um ihm zu zeigen, dass sie seine Einschätzung teilte. Dann hämmerte er mit der Faust auf die Hupe, während Linnea in der Hoffnung, einen Schleichweg zu finden, die Karte auf ihrem Blackberry studierte. Aber es war nichts zu machen. Sie konnten nichts tun, als hier zu warten, während sich die Autos und LKW durch das Nadelöhr in Richtung des Amagermotorvej zwängten.
62
A nisa Farah?«, fragte Thor, diesmal fast flüsternd.
Er war sich unsicher, ob er allein im Schuppen war und ob es überhaupt eine gute Idee war, sich zu erkennen zu geben. Er hielt die Pistole fest umklammert, aber sie würde ihm ohnehin nicht viel helfen, wenn man ihn überraschte. Anisa bewegte sich schnell und lautlos, das konnte Linnea bezeugen. Und wozu eine ehemalige Kindersoldatin noch in der Lage war, wussten nur einige wenige Überlebende zu berichten.
Thor stand mit dem Rücken zur Tür und wagte sich nun etwas weiter in den Raum hinein. Hier war es fast genauso kalt wie draußen. Er bildete sich ein, verschiedene Gerüche wahrzunehmen: den Gestank der schmutzigen Holzverkleidung, die von jahrzehntelangem Rauchen und mangelndem Putzen braun war. Aber da war noch etwas anderes. Vielleicht konnte er Anisas Anwesenheit tatsächlich riechen, vielleicht spielten ihm seine Phantasie und seine Nerven auch nur einen Streich.
Er ging einige Schritte weiter in das Zimmer hinein. Es gab nur diesen einen Raum, mit einem Heizofen in der rechten hinteren Ecke und einer improvisierten Küche mit einem Gaskocher in der anderen. Überall standen ramponierte Möbel und alte Fischerkisten mit Gerümpel herum. Für die Spurensicherung würde dieser Ort ein Alptraum sein. Er hielt die Pistole im Anschlag und ging zu dem Kachelofen hinüber. Mitten in diesem Durcheinander war ein kleiner Bereich auf dem Boden freigeräumt, wo ein Schlafsack auf einer dünnen aufblasbaren Isomatte lag.
Thor ging in die Knie. Er sah sich um und erblickte im nächsten Moment einen Dolch. Die Klinge war mindestens zwanzig Zentimeter lang und lag zusammen mit einer Packung Kekse und einer leeren Coladose neben dem Schlafsack. Er legte eine Hand auf den Ofen, doch er war kalt. Dann schlug er den Schlafsack auf und spürte am Boden etwas Restwärme. Noch vor kurzem musste hier jemand gelegen haben.
Er fluchte vor sich hin, blieb einen Moment in der Hocke und streckte sich nach einem Holzklotz, der in der Nähe zwischen dem Gerümpel stand. Vorsichtig zog er ihn zu sich und wog ihn einen Moment in der Hand. Dann schleuderte er ihn mit aller Kraft in Richtung des Fensters auf der anderen Seite. Das Glas zersplitterte, und er sprang auf und trat gegen den Tisch vor sich. Er blieb stehen, die Waffe gezückt.
Der plötzliche Lärm hätte jeden aus seinem Versteck vertrieben, doch niemand kam zum Vorschein. Er suchte ergebnislos den Raum ab. Die Flüchtige war schon wieder unterwegs. Es gab nur einen naheliegenden Fluchtweg, und vielleicht war es auch schon zu spät. Er holte sein Handy aus der Tasche. Der Empfang war schwach, aber es gelang ihm trotzdem, Ewald zu erreichen.
»Ist Kraus schon da?«, fragte Ewald. »Wir sind unterwegs, Tantawi ist bei mir.«
»Es gibt eine Planänderung«, antwortete Thor.
Schnell ging er alles im Kopf durch. Schon bevor er in aller Eile den Politigården verlassen hatte, hatte er Kraus angerufen und instruiert und anschließend Ewald und Tantawi erreicht, die sich gerade beide im
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