Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Holzschuppen stehen, in dem sich Anisa dem GPS und den Satellitenbildern zufolge aufhalten musste. Er hielt inne und lauschte.
Man konnte nicht genau wissen, was eigentlich in Gunnerus’ Kopf vorgegangen war. Er musste das Gefühl gehabt haben, dass seine Welt zusammenstürzte, als ihm der junge Journalist mit seinen Enthüllungen drohte. Vibe Herzog hatte einfach nur Pech gehabt. Warwick hatte ihrem blauäugigen Idealismus ein Ende bereitet, indem er ihr von dem eigentlichen Zweck der finanziellen Transaktionen erzählt hatte, mit denen sie Gunnerus jahrelang behilflich gewesen war. Und als sie ihn anschließend anrief, um sich bei ihm zu beschweren, hatte sie ihr eigenes Todesurteil unterschrieben. Das Problem war, dass Thor kaum mehr als Indizien gegen Gunnerus hatte, bevor sie seine Zusammenarbeit mit Herzog genauer untersucht hätten. Aber wenn er Gunnerus dazu bringen konnte, sich selbst zu verraten, weil er Angst hatte, dass Anisa ihn verriet … Wenn Thor ihn richtig einschätzte, war Gunnerus auf dem Weg hierher, um Anisa wegzubringen, ehe die Polizei ankam. Oder sie zu liquidieren.
Das Risiko, dass etwas schiefging, war eigentlich viel zu groß, aber Thor sah keine andere Möglichkeit. Kraus würde sicher ausflippen, wenn er erfuhr, dass Thor ihn hintergangen hatte. Und auch gegenüber Polizeidirektor Lange käme er dann in Erklärungsnot. Doch schon als er Warwicks Aufnahme gehört hatte, wusste er, dass er keine andere Wahl hatte. Technische Beweise zu finden, wäre schwer, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als eine Falle zu stellen. Kraus und dem Rest der Abteilung hatte er das verschwiegen, weil es nicht nur aus ethischen Gründen problematisch war, sondern auch gegen das Gesetz verstieß. Er war allerdings zu dem Schluss gekommen, dass es leichter war, um Verzeihung zu bitten als um Erlaubnis. Aber das Problem war natürlich, dass man ihm nur verzeihen würde, wenn der Plan auch gelang.
Und jetzt, wo er hier vor dem Schuppen stand, wurde er zunehmend nervöser. Er schaute auf sein Telefon, um zu sehen, ob das Telecenter neue Bewegungen meldete, aber er hatte plötzlich keinen Empfang mehr. Er schaltete das Telefon mehrmals hintereinander ein und aus, doch es half nichts. Vorsichtig warf er einen Blick durch eine dreckige Scheibe, konnte jedoch nichts sehen. Hatte er nicht in einem der Fenster Licht gesehen, als er am Ende des Weges gestanden und die Umgebung beobachtet hatte?
Er schlich erneut um die Ecke und blieb bei der Eingangstür stehen. Einen Moment lang verharrte er reglos, dann nahm er seine Pistole und überlegte, ob er die Tür öffnen konnte, indem er sich gegen den maroden Türrahmen warf. Er hielt seine Walther PPK in Hüfthöhe und prüfte, ob sie entsichert war. Vorsichtig fasste er an den Türgriff. Dann entdeckte er etwas auf dem Boden. Er beugte sich hinunter und hob eine massive Eisenkette auf, die halb im Schnee eingesunken war. An ihrem Ende baumelte ein Hängeschloss. Beides sah neu aus und konnte noch nicht lange im Schnee gelegen haben. Dann öffnete er die Tür.
»Anisa Farah?«, rief er.
*
Linnea war froh, dass sie das Tachometer vom Beifahrersitz aus nicht sehen konnte. Das Brachland auf der Rückseite des Hauptbahnhofs mit dem Bahnkörper und den Containerplätzen rauschte vorbei, und sie tippte, dass Kraus mindestens hundert Stundenkilometer fuhr, obwohl die Straßen selbst im Stadtzentrum ziemlich glatt waren. Doch wenn sich Gunnerus tatsächlich in Nokken aufhielt, mussten sie sich beeilen, um rechtzeitig dort zu sein. Während Kraus versuchte, sich durch den dichten Verkehr zu schlängeln, gelang es Linnea, den Polizeifunk zu bedienen, als sich der Streifenpolizist vor Ort erneut meldete.
»Von hier aus haben wir das meiste im Blick«, sagte er. »Er ist irgendwie mit den vertäuten Booten beschäftigt. Sollen wir ihm nachgehen?«
Linnea blickte fragend zu Kraus, der den Kopf schüttelte.
»Es ist am wichtigsten, den Schuppen zu bewachen, wo Anisa sich versteckt hält«, erwiderte Kraus. »Achtet darauf, ob er sich nähert. Und sorgt um Himmels willen dafür, dass er euch nicht sieht!«
Er drehte sich zu Linnea um.
»Ob er weiß, dass wir unterwegs sind?«
Linnea hatte in der Zwischenzeit ihr Handy hervorgeholt und starrte auf ihre Position auf dem Stadtplan. Der kleine Punkt bewegte sich hastig auf dem Enghavevej Richtung Süden, und sie scrollte eifrig nach rechts.
»Keine Ahnung. Aber er war auf jeden Fall in der Nähe.«
Sie zeigte nach
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