Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
fuhren einige Minuten lang schweigend weiter, ehe sie die Vigerslev Allé erreichten.
»Ich will wissen, wo wir hinfahren«, verlangte Musoni. »Dieser Weg führt nicht zum Politigården.«
»Habe ich nicht gesagt, dass Sie den Mund halten sollen?«, fragte Thor. »Hier haben die Bullen früher immer die Dealer hingebracht, wenn sie sie zum Schweigen bringen wollten.«
Er beugte sich vor und dirigierte Kraus weiter hinaus in Richtung Gammel Køge Landevej.
»Nimm einfach irgendeine Seitenstraße«, bat er. »Es dürfte kein Problem sein, einen passenden Ort zu finden.«
Noch immer drehte er sich nicht zu Musoni um.
»Hier gibt es massenhaft einsame Gegenden, wo niemand die Schreie hört, wenn man jemanden etwas ruppiger verhört. Immer mit der Ruhe, ich versuche gar nicht, Ihnen zu drohen. Ich weiß ganz genau, dass Sie sich von so etwas nicht einschüchtern lassen. Um Sie nervös zu machen, bedarf es schon etwas mehr, nicht wahr?«
Musoni schwieg lieber, was Thor sehr gut passte. Wenn der Prediger glaubte, dass er sein Spiel mit ihnen spielen konnte, war das für Thor kein Grund zur Besorgnis. Er würde ohnehin schon nach wenigen Minuten auf andere Gedanken kommen. Im selben Moment bremste Kraus ab und bog in eine Straße, die zu einer Einfahrt mit einem rostigen Gittertor führte, das offen stand. Dann hielten sie endlich. Vor ihnen lag ein niedriges Fabrikgebäude aus roten Backsteinen. Es schien, als hätte sich an diesem Ort schon lange niemand mehr aufgehalten. Es gab Strandgut aus einer industriellen Vorzeit, die längst vorbei war, zerfressene Öltonnen, kaputte Fensterscheiben. Hier, im Gebiet hinter Folehaven, lag ein wildes Niemandsland, das noch nicht von Werbefotografen und hippen Kunstgalerien entdeckt worden war.
Hier gab es keine neugierigen Zuschauer oder Lauscher.
»Jetzt sollten wir mal in Ruhe miteinander plaudern«, sagte Thor. »Und ich bin mir sicher, dass Sie lieber mit mir reden als mit dem Völkermord-Tribunal der Vereinten Nationen. Denn wenn ich richtig informiert bin, ist man dort sehr erpicht darauf, Sie zu fassen. Soll ich Sie eigentlich lieber mit Ihrem richtigen Rang und Namen anreden, Leutnant Ignace Munyanezo?«
39
I ch bin vierzehn Jahre alt und vom Koks berauscht, meine AK - 47 glänzt vom Öl, und mein Haar ist blutverschmiert.
Wir stürmen ins Dorf, und der Hauptmann gibt den Schießbefehl. Aber das ist nicht nötig, wir haben die Finger längst am Abzug. Ich grinse dem kleinen Mike zu, der einen Schädel am Gürtel baumeln hat. Wie immer bilden wir den Vortrupp, aber heute haben wir leichtes Spiel, kein Widerstand – nur Bauern, die wie aufgeschreckte Hühner flüchten und kreischen, ehe sie vor uns niederknien. Sie beten für ihr Leben, aber dadurch verachten wir sie nur umso mehr. Und bald werden die, die noch übrig sind, für ihren Tod beten.
»Hau ab, der gehört mir.«
Ich trete einen der Kleineren, der mit seinem G 3 -Maschinengewehr auf einen Opi zielt. Noch ehe der Junge reagieren kann, schieße ich den Alten mit einer Salve nieder. Der kleine Mike und ich zählen unsere Treffer. Wie immer gewinne ich, das Koks treibt mich zu Hochleistungen an, und er lässt sich viel zu leicht ablenken.
An das Leben vor der Miliz können wir uns kaum noch erinnern. Wir arbeiten hart, sind immer unterwegs, halten nur an, um zu koksen, unsere Waffen zu reinigen und zu essen. Die Pillen geben uns Energie, um weiterzumachen und alles zu vergessen, das der Angst ähnelt. Wir sind gut geschmierte Maschinen, dafür geschaffen, andere zu töten. Der Tod ist etwas, was nur die anderen trifft.
Wir haben die Überlebenden auf dem Dorfplatz zusammengetrieben. Es sind vor allem Kinder, aber auch mehrere Frauen und einige wenige Männer. Eins der Weiber heult hysterisch, und Moses One-Eye ist den Lärm leid. Er greift ihr ins Haar und reißt brutal ihren Kopf nach hinten. Erst als ihr die Panga die Halsschlagader durchtrennt, hält sie endlich den Mund. Jetzt ist nur noch ein unbeholfenes Gurgeln zu hören.
Ich grinse Moses an. Er ist beinhart, hat seine ersten Dollars damit verdient, seine Eltern zu töten. Ich bin sein Mädchen.
40
T hors Augen waren geschlossen, er lehnte sich im Autositz zurück. Er nahm sich viel Zeit. Dem anderen würde es nur gut tun, zu warten. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu Linnea zurück, und er ließ es zu. Letzte Nacht hatte sie ihn über seinen Fall ausgefragt, ihn gebeten, ja geradezu angebettelt, sich darauf stürzen zu dürfen, und er
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