Bewahre meinen Traum
und seinen Edelmut bekannt war. Hoch oben im Haupthaus gelegen, zollt der Raum der umliegenden Natur des Inn seine Hochachtung. Er ist ausgestattet mit einem handgeschnitzten Bett aus Birkenholz, das kleine Vogelhäuser zieren, Geweihlampen und antiken Drucken des präraffaelitischen Malers Dante Gabriel Rossetti.
In jedem Zimmer stehen frische Blumen. Ein Kupferpenny und eine Aspirintablette im Wasser halten die Sträuße länger frisch. Das Kupfer wirkt als Fungizid, und das Aspirin führt dem Wasser Säure zu. Die bekannte Floristin, Autorin und Sozialreformerin Constanze Sprey erinnerte uns: „Wenn Sie einen Strauß zusammenstellen, lassen Sie immer ausreichend Platz zwischen den einzelnen Blumen, um einen gedrängten Eindruck zu vermeiden. Man sollte Raum für Schmetterlinge lassen.“
4. KAPITEL
N ina schob alle ihre Probleme auf einen Jungen namens Greg Bellamy. Das war reichlich irrational, alleine schon deshalb, weil er überhaupt nicht wusste, dass Nina existierte. Vielleicht war das das größte Problem von allen.
Als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, war sie mit ihrer besten Freundin Jenny Majesky zum Camp Kioga hinaufgefahren. Die einstige Bungalow-Kolonie für die reichen Familien aus der Stadt war nun ein schickes Sommercamp für deren Kinder. Nicht, dass Nina hier jemals campen oder sonst was tun würde.
Nein, sie fuhr die Uferstraße am See zum historischen, exklusiven Sommercamp in einem Bäckereilieferwagen hinauf. Der Wagen gehörte Jennys Großeltern, und die Mädchen halfen Waren auszuliefern. Jennys Großvater ließ sie das Radio so laut stellen, wie sie wollten, denn er hörte schlecht. Und so wehten Metallica und eine köstliche Brise mit gleicher Kraft durch die geöffneten Fenster des Wagens. Nina atmete tief den grünen Geruch des Waldes ein und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, hier ein Camper zu sein. Langweilig, dachte sie abwehrend. Dennoch kam ihr die Vorstellung zu gut vor, um wahr zu sein: einen ganzen Sommer lang fort von der Familie sein und mit lauter Freunden in einer Holzbaracke schlafen. Sie würde nie erfahren, wie das wirklich war, denn Familien wie die ihre schickten ihre Kinder nicht ins Sommercamp.
Außerdem, rief sie sich in Erinnerung, waren Sommercamps nur für Leute, die zu viel Geld und zu wenig Fantasie hatten. Das sagte Pop zumindest immer. Die Leute wussten heutzutage nicht, wie man die eigenen Kinder mit in den Urlaub nahm, also schickten sie sie ins Sommercamp. Natürlich wussten Nina und ihre acht Geschwister, dass das Pops Art war, dafür zu sorgen, dass sie sich alle besser fühlten. Die Romano-Familie konnte sich kaum Schuhe leisten, geschweige denn einen Urlaub. Pop war Gemeinschaftskundelehrer an der Highschool in Avalon. Er liebte seinen Job, aber mit neun Kindern reichte das Gehalt eines Lehrers nicht sehr weit.
Jeden Sommer engagierte Pop sich in der Politik. Er arbeitete als Freiwilliger für den örtlichen Kandidaten, dem er vertraute – natürlich immer ein Demokrat –, und betrieb den Wahlkampf unermüdlich und mit großer Leidenschaft. Manche Leute kritisierten Pop dafür. Sie sagten, mit so vielen Kindern sollte er lieber bei anderen Leuten Rasen mähen oder Gräben ausheben, um sich ein paar Dollar dazuzuverdienen. Aber Pop blieb davon ungerührt. Er glaubte wirklich, das Beste, was er für seine Familie tun könnte, wäre, die Welt zu verändern, indem er die Kandidaten unterstütze, die seine Ideale teilten.
Ninas ältester Bruder Carmine sagte mal, Pop hätte das Gleiche erreichen können, wenn er gelernt hätte, ein Kondom zu benutzen.
Wenn Ninas Mutter gerade kein Baby bekam – oder stillte oder Windeln wechselte –, arbeitete sie in den Sommerferien im Camp Kioga als Köchin. Sie sagte, die Arbeit mache ihr nichts aus. Für eine so große Anzahl an Menschen zu kochen war etwas, das sie im Schlaf konnte. Dafür bezahlt zu werden war ein netter Bonus. Im Sommercamp bereitete sie drei Mahlzeiten pro Tag für Kinder zu, die vermutlich keine Ahnung hatten, wie es war, jeden Tag die gleichen Schuhe zu tragen, bis sie endgültig zu klein waren, oder die ältere Schwester zu bitten, ihren Namen nicht auf den Ranzen zu schreiben, weil man wusste, dass er im nächsten Jahr einem selber gehören würde, oder für das Schulessen mit den peinlichen blauen Coupons bezahlen zu müssen, die man schnell und verstohlen über den Tresen schob in der Hoffnung, dass das Kind hinter einem in der Schlange es nicht mitbekam.
Nina
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