Bewahre meinen Traum
für Nina im Laufe der Jahre nichts von seiner Magie verloren. Auch wenn sie nicht mehr dort arbeitete, kannte und mochte der Manager sie, und sie durfte jederzeit den dortigen Strand benutzen, einen breiten Sandstreifen direkt am See. Trotz der leicht schäbigen Eleganz zog das Inn immer noch Sommergäste an, die die gemächliche Ruhe und Zurückgezogenheit des Anwesens zu schätzen wussten. Nina glaubte, dass die Leute kamen, um eine andere, einfachere Zeit zu erleben. Das Inn war eine Oase, weit entfernt von klingelnden Telefonen, piependen Computern, Verkehrsstaus und täglichen Anforderungen. Hier verdösten die Gäste die Nachmittage in einem Schaukelstuhl auf der umlaufenden Veranda, spielten eine Partie Tennis oder Pickleball oder liehen sich ein Boot für einen abendlichen Segeltörn aus.
Sonnet sah in ihrem gelben Badeanzug mit dem kleinen Schößen hinten ganz entzückend aus. Sie spielte in den flachen Wellen, die sanft an den feinsandigen Strand schlugen, und jauchzte vor Freude, wenn das kalte Wasser an ihren Zehen kitzelte. Der sonnige Tag hatte Gäste und Einheimische nach draußen gelockt. Auf einer Wiese wurde ein Volleyballmatch ausgetragen – Collegestudenten, vermutlich aus Colgate oder Skidmore oder von dem nahe gelegenen öffentlichen College in New Paltz. Nina merkte, wie die Jungs sie musterten. Sie wusste, dass sie in ihrem Bikini gut aussah. Das Gelb passte zu Sonnets Badeanzug und bildete einen hübschen Kontrast zu Ninas olivfarbener Haut. Als Angestellte im öffentlichen Dienst durfte sie das Fitnessstudio der Polizei mitnutzen, und sie hatte hart daran gearbeitet, ihre Bauchmuskeln in Form zu bringen. Nachdem Sonnet geboren war, hatte Nina entdeckt, dass ihr Körper nun noch erwachsener aussah, und sie spürte, dass ihr Bikini in den männlichen Köpfen für reichlich Schwindel sorgte.
Manchmal träumte sie davon, von einem Mann eingeladen zu werden, aber das passierte nie. Egal wie sehr die Männer ihren Körper zu schätzen schienen, ein Blick auf Sonnet reichte und sie liefen in die andere Richtung davon. Nina machte ihnen keinen Vorwurf. Sie selber liebte ihre Tochter mit jeder Faser ihres Herzens, aber das bedeutete nicht, dass es leicht war. Egal wie sehr sie Sonnet liebte, es gab trotzdem Wutausbrüche, volle Windeln, durchwachte Nächte, wenn Sonnet ihren Krupphusten bekam und Nina mit ihr stundenlang im mit feuchtem Dampf gefüllten Badezimmer saß und einfach nur mitweinte. Es war schwer, sich vorzustellen, dass irgendein Mann das mitmachen würde.
Nina hatte sich beigebracht, glücklich zu sein mit dem, wie sich alles entwickelt hatte. Jenny Majesky war immer noch ihre beste Freundin, die selber Probleme hatte, weil ihr Großvater gestorben war und sie nun alle ihre Pläne über den Haufen werfen musste, um ihrer Großmutter in der Bäckerei zu helfen. Im Sommer sah Nina nicht viel von Jenny. Ihre Freundin hatte zwei Jungs, die in sie verliebt waren, und war ganz hibbelig, weil sie sich nicht entscheiden konnte. Nina zeigte ihr nie, dass sie ein wenig eifersüchtig war, wenn sie sah, wie ihre Freunde auf Partys gingen oder sich einen kitschigen Film im Autokino anschauten, den Zug in die Stadt nahmen und in Richtung College und zu Abenteuern aufbrachen, die Nina sich nicht einmal vorstellen konnte.
Sie sagte sich, dass Sonnet das ultimative Abenteuer war. Ihr kleines Mädchen war ohne Zweifel das hübscheste, talentierteste und klügste Kind, das je das Licht der Welt erblickt hatte. Natürlich empfanden andere Eltern ihren Kindern gegenüber genauso, aber in Sonnets Fall waren diese Gedanken berechtigt. Es war keine Geschichte, die Nina sich erzählte. Es war eine Wahrheit, die sie in den dunkelsten, stillsten Stunden der Nacht anerkannte, wenn sie sich so einsam fühlte, dass ihr ganzer Körper vor dem Wunsch, gehalten und berührt zu werden, zitterte. Nicht von vor Erdnussbutter klebrigen Händen, sondern von den Armen eines Mannes. Das war ein körperlicher Schmerz in ihrem Inneren. Wenn es einfach nur ein animalisches Verlangen wäre, könnte sie mit irgendeinem Typen ausgehen, Sex haben und den Schmerz damit vertreiben. Doch natürlich war es nicht so einfach.
Sonnet hatte ein paar Kinder gefunden, mit denen sie am Strand spielen konnte. Kinder taten so etwas – sie setzten sich einfach neben ein anderes Kind und fingen an zu spielen. Sonnet hatte sich zu einem kleinen blonden Mädchen gesellt, die mit großem Eifer nassen Sand in einen Eimer schaufelte. Bald
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