Bewahre meinen Traum
wollen. „An dem Tag, an dem sie geboren wurde, habe ich gerade für einen Englischtest geübt“, erklärte sie.
„Lass mich raten – die Struktur eines Sonetts.“
„ABBA, ABBA, CDE, CDE, GG. Das ist mir auf ewig ins Gedächtnis gebrannt. Ich war gerade mitten in einem tragischen Liebessonett, als meine Fruchtblase geplatzt ist. Okay, das ist vermutlich mehr, als du wissen wolltest.“
„Gut, dass du nicht gerade Limericks oder Epitaphen gelernt hast.“
Gemäß der Instruktionen aus ihrem Geburtsvorbereitungskurs hatte sie sich ein Mantra suchen sollen, das sie während der Wehen aufsagen konnte. Ohne darüber nachzudenken, hatte sie sich die Gedichtstruktur ausgewählt. Baby oder nicht, sie hatte vor, den Test zu bestehen. Sie wollte – brauchte – alle Punkte, die sie kriegen konnte.
Als das Baby geboren war, erlebte Nina nicht diesen heiligen Augenblick erhöhter Spiritualität, von dem viele Mütter sprachen. Sie fühlte sich nicht mit einem Mal eins mit dem Universum oder tief mit der Erde oder der Menschheit verbunden oder so. Das Einzige, was ihr durch den Kopf ging, war die Struktur des Sonetts, also dachte sie, dass sie so vielleicht ihr Kind nennen sollte.
„Meine Tochter heißt Daisy“, erzählte Greg ihr voller Stolz. „Ist sie nicht großartig?“
Als wenn sie ihn gehört hätte, schaute Daisy in diesem Moment auf und schenkte ihm ein Lächeln, das so strahlend war wie ihr Namensgeber, das Gänseblümchen. Sie winkte mit beiden Händen. „Lass uns gehen, Daddy-O“, sagte sie.
„Wie du willst, Daisy-O“, erwiderte er. Dann sagte er an Nina gewandt: „Es war nett, mit dir zu sprechen.“ Er packte seine Kamera in einen großen Plastikbeutel und ging zum Ufer. Dort zog er sein T-Shirt aus und warf es beiseite. Zum Vorschein kam ein gebräunter, muskulöser Oberkörper. Er nahm die kleine Hand seiner Tochter, und gemeinsam liefen sie ins Wasser.
Nina schaute ihnen einen Moment lang zu. Sie fühlte sich seltsam unbehaglich, wusste aber nicht, wieso. Greg Bellamy war gar nichts – kein Freund, keine alte Flamme, ganz sicherlich niemand, in den sie verliebt war. Er war nur ein Typ, dessen Leben dazu neigte, sich in den seltsamsten Augenblicken mit ihrem zu überkreuzen. In Augenblicken, die sich bunt und glitzernd wie Seifenblasen in die Luft erhoben und im nächsten Moment verschwunden waren. Sie waren Fremde. Es war besser, wenn das auch so bliebe.
Noch jemand beobachtete Greg Bellamy und die kleine Daisy – Sonnet. Sie hatte einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht, und in ihren Augen glitzerte ein unausgesprochener Wunsch.
Nina fühlte sich schuldig, weil Sonnet ihren Vater nicht kannte. Und es gab keinen Zweifel, dass die Liebe eines Vaters etwas ganz Besonderes war. Nur zuzusehen, wie stark und sicher ein Mann mit seinem Kind umging, sich zu erinnern, was Pop all seinen Kindern bedeutete … Nina konnte sich nicht länger weigern, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Egal was sie ihrer kleinen Tochter auch gab, sie könnte ihr nie die Erfahrung ersetzen, wie es ist, einen Vater zu haben. Und je älter Sonnet wurde, desto mehr Fragen stellte sie. Sie sah andere Kinder mit ihren Daddys und fragte, wo ihrer war. Nina wusste, dass die Zeit gekommen war. Sie würde vor ihrer Tochter keine Geheimnisse haben.
7. TEIL
Heute
Jedes Zimmer des Inn ist mit sorgfältig ausgewählten Stücken möbliert. Das Literatenzimmer ist ein gemütlicher Raum mit einer fein säuberlich restaurierten Bordüre, freigelegten Deckenbalken, einem antiken Waschtisch und einem privaten Badezimmer. Im Westflügel des Hauses gelegen, genießt dieses Zimmer die letzten Sonnenstrahlen des Tages und hat einen Blick über die Trauerweiden am Seeufer. Auf dem antiken, mit Schnitzereien reich verzierten Himmelbett laden ein handgenähter Quilt und fein bestickte Kissen zum Ausruhen ein. Als Oase für den kreativen Geist hat das Zimmer einen kleinen Schreibtisch und einen passenden Stuhl, die einst dem amerikanischen Autor James Fenimore Cooper gehörten.
Das Inn am Willow Lake benutzt keine handelsüblichen Möbelpolituren, die Erdöl oder andere neurotoxische Lösungsmittel enthalten. Viel schöner ist die Kombination aus Jojobaöl – das man in den meisten Drogeriemärkten erhält – mit Zitronenöl und einem Schuss frischem Zitronensaft.
13. KAPITEL
I n dem Moment, wo sein Wagen vom Parkplatz rollte, fingen Greg und Nina an zu streiten. „Wir fahren nach New Paltz“, sagte er. „Das ist
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