Bewahre meinen Traum
schon waren die beiden in ihre eigene Welt eingetaucht, plapperten und kicherten über Dinge, die nur Kinder amüsant fanden. Die Augen beschützend auf ihre Tochter gerichtet, setzte Nina sich auf eine Bank – und landete beinahe auf jemandes Schoß.
„Oh, tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe Sie nicht gesehen.“
Der Mann rutschte ein Stück zur Seite. „Kein Problem. Ist ja Platz genug für uns beide da.“
Nina runzelte die Stirn. Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Sie warf ihm einen Blick zu und bemerkte, wie er sie wohlwollend musterte.
„Oh“, sagte sie. „Hallo.“ Sie versuchte zu ergründen, ob er sie erkannte oder nicht. In der Zwischenzeit tat sie so, als würde sie ihn auch nicht erkennen. Aber natürlich tat sie das. Wie könnte sie auch nicht? Es war Greg Bellamy mit den unglaublich verträumten Augen, den breiten Schultern, dem kantigen Kiefer, dem … schlichten goldenen Ehering.
Und er war zurück in Avalon. Das kam unerwartet, denn nachdem Camp Kioga seine Pforten geschlossen hatte, waren die Bellamys hier ein seltener Anblick geworden. Die Familie nutzte das Gelände noch für private Zwecke, aber die meiste Zeit lag das Camp im Dornröschenschlaf, eine Geisterstadt vergangener Zeiten.
„Sind Sie Gast hier im Inn?“, fragte er.
Flirtete er etwa mit ihr? Trug er einen Ehering und flirtete trotzdem mit ihr?
„Nein“, sagte sie, den Blick immer noch auf Sonnet gerichtet. Tat er nur so oder erinnerte er sich wirklich nicht?
„Lass mich raten“, sagte er. „Du versuchst herauszufinden, ob es peinlicher ist, so zu tun, als hätten wir uns nie getroffen, oder mich daran zu erinnern, dass wir uns kennen.“
Sie zuckte mit keiner Wimper, ließ aber ein kleines Lächeln um ihren Mundwinkel aufblitzen. „So ungefähr, ja“, gab sie zu.
„Das dachte ich mir. Wir haben unser jährliches Familientreffen im Camp, aber meine Frau wohnt lieber hier“, sagte er. „Da oben ist es ihr doch ein wenig zu rustikal.“ Er nahm die Kamera, die neben ihm auf der Bank lag, und machte ein Foto der am Strand spielenden Kinder.
Nina schoss das Bild der eleganten, dünnen Blondine durch den Kopf, die eines Tages mit Gregs Baby aufgetaucht war. Das war kurz nach dem Abend mit Laurence gewesen, dem Abend, der Ninas Leben in einem einzigen, unachtsamen Moment komplett verändert hatte. Und Greg war da gewesen, hatte etwas zu ihr gesagt, das sie nie vergessen hatte – Wenn du älter wärst, könnte das hier vielleicht was werden.
Nun, jetzt war sie älter, aber sie hoffte, dass er diese flirtige Bemerkung vergessen hatte. Er war ein verheirateter Mann. Er hatte Familie.
Um ihre Nervosität zu verbergen, konzentrierte sie sich ganz auf die Kinder. Es war leicht zu sagen, welches sein Kind war – das kleine blonde Mädchen, mit dem Sonnet spielte. Sogar in diesem jungen Alter schien sie schon die Schönheit und Klasse der Bellamys zu besitzen. Oh, und den Charme nicht zu vergessen. Wie eine kleine Hummel, die von Blume zu Blume fliegt, eroberte sie mit ihrem Lächeln die Herzen aller Kinder. Sonnet schien zu versuchen, ihr in allem nachzueifern. Als die Kleine Sonnet einen glänzenden grauen Stein gab, hielt Sonnet ihn in den Händen, als handle es sich um den Hope-Diamanten.
„Guck mal, Mama“, sagte sie und streckte ihre pummelige kleine Hand aus.
„Oh, der ist aber schön“, sagte Nina. „Soll ich ihn für dich aufbewahren?“
„Okay.“ Sonnet legte den Stein in die Hand ihrer Mutter und ging dann zurück zum Spielen.
Nina musste Greg nicht ansehen, um zu wissen, dass er dabei war, seine Gedanken und Vorstellungen von ihr neu zu ordnen. Das taten Männer immer. Sie waren überrascht zu sehen, dass sie die Mutter eines sprechenden, laufenden kleinen Mädchens war, das definitiv afroamerikanisch aussah.
„Deine Tochter ist wirklich süß“, bemerkte er.
Was für eine Untertreibung, dachte Nina. Süß reichte nicht ansatzweise, um Sonnet zu beschreiben. Das Wort für sie war noch nicht einmal erfunden worden. Dann kam Nina ein alarmierender Gedanke. Greg wusste, mit wem Nina an jenem Abend zusammen gewesen war. Er könnte vielleicht erraten, wer Sonnets Vater war.
„Wie heißt sie?“
„Sonnet.“ Wie immer folgte hierauf eine kurze Pause. Sonnet war ein ungewöhnlicher Name, hinter dem die meisten Leute eine Geschichte vermuteten. Aber es gab keine. Es war einfach nur so, dass alle Romanos traditionelle italienische Namen hatten, und Nina das für ihre Tochter hatte vermeiden
Weitere Kostenlose Bücher