Bewegt Euch
zeitgleich. Stolz und Erschöpfung und Schmerzen ergossen sich als Hormonwelle in meine Adern. Sieger, natürlich nicht von allen Teilnehmern, aber von den wichtigen. Ein erster und bis heute einziger Triumph: Ich hatte ein Rennen gewonnen.
Wenige Wochen später kam es zu drei historischen Ereignissen, deren Bedeutung für mich etwa gleich groß war. Ich beendete tatsächlich mein Studium, die Mauer fiel, und auf Hawaii lieferten sich Dave Scott und Mark Allen jenes Duell, das als »Ironwar« in die Sportgeschichte einging. Acht Stunden lang schwammen, radelten, liefen die beiden Männer nebeneinander her; ein Krieg der Körper, von Menschen gegen sich selbst.
Hinter den keuchenden Läufern knattern Mopeds, Jeeps und Laster wie Hornissen. Fahrräder können das Tempo kaum halten. Zuschauer, Kampfrichter, Highway-Polizisten sind wie hypnotisiert von diesem Zweikampf. Es geht längst nicht mehr um den einen oder den anderen. Es geht um den Kampf an sich. Zwei Athleten peitschen sich gegenseitig durch das härteste Rennen der Welt; sie wachsen aneinander über sich hinaus.
Keiner der beiden wäre für sich allein so schnell. Es ist der Rivale, der sie stärker werden lässt. Athleten liefern Weltklasse, weil Leistung kein feststehender Wert ist, sondern eine Funktion aus Weg mal Kraft mal Wille.
Dieses Duell ist Sport in seiner reinsten, brutalsten Form. Fast acht Stunden lang verfolgen sich die beiden Athleten, ohne sich eines Blicks zu würdigen. Der eine war so schnell, wie der andere konnte. Keine Schwäche zeigen, überhaupt keine Regung, auch wenn fast vier Kilometer Schwimmen durch die Quallen des Pazifischen Ozeans, vor allem aber 180 Kilometer Rad durch die Wüste die Körper längst ausgezehrt hatten. Und keiner hatte den anderen aus den Augen gelassen.
Jetzt rannten sie den Marathon, Seite an Seite. Ihre Hirne hatten längst auf Autopilot umgeschaltet. Es war der Wille, der die Körper bewegte. Welcher war stärker? Der Wille, noch einmal zu gewinnen? Oder der Wille, nicht schon wieder zu verlieren?
Scott hat sechsmal gewonnen auf Hawaii, Allen alles andere – aber nie den Ironman gegen Scott.
Mark Allen kam zum Triathlon, weil ihn das Finale von Julie Moss 1982 fasziniert hatte. Die Athletin war auf allen vieren über die Ziellinie gekrochen. Später heiratete er sie. Scott stammt aus einer ländlichen Ecke Kaliforniens. Er trainiert am liebsten allein. Allen ist der Surfboy, der in San Diego im Profi-Camp lebt.
Während Scott so langsam das Ende seiner Karriere im Blick hat, treibt Allen der Dampf des Verfolgers. Scott rennt in der Traditionsmarke Brooks, grüne Hose, weißes Hemd, blauer Schirm. Allen startet in Nike, gelb-weiß, gelbe Basecap. Beide tragen Magnum-Schnauzer. Zum Verwechseln ähnlich auch ihre Waden: dünn, sehnig, gespannt.
Scott diktiert gern vom Start das Tempo; Allen kündigt an, dem Favoriten vom ersten Schwimmzug an nicht von den Fersen zu weichen. Scott wird alles daran setzen, den lästigen Schatten mit einem mörderischen Tempo abzuschütteln. Allen erklärt, er werde Scott auf den letzten Kilometern des Marathons wegzusprinten versuchen.
Sie kannten sich, sie respektierten sich, sie fürchteten sich. Aber sie hatten nie lange miteinander geredet. Warum auch? Die Lage war sonnenklar: du oder ich? Es war keine Feindschaft, es war schlimmer. Es ging um die Ehre. Obwohl sie kaum miteinander sprachen, waren sie wie ein altes Ehepaar. Sie führten eine Beziehung ohne jegliches Geheimnis. Jeder weiß, was der andere will. Dranbleiben. Durchhalten. Wegrennen. »Ich wusste genau, was er durchmachte. Und er wusste es von mir«, erinnert sich Allen.
Es ist der perfekte Wettbewerb, weil nie zuvor und nie danach zwei Athleten absolut zeitgleich auf der Höhe ihrer Leistungskraft waren. Sie hatten sich sogar den gleichen Schlachtplan zugelegt. Auf einem langen Anstieg etwa bei Kilometer 37 wollte der eine den anderen fertigmachen. Doch gerade hatte Scott den einzigen Gedanken gefasst, der in der Leere von Körper und Geist noch möglich war, da zog Allen davon. Es mag eine Sekunde gewesen sein, die er eher entschied. Eine gewagte Sekunde. Denn was wäre, wenn Scott konterte? Oder wenn Allen das verschärfte Tempo auf dem sanft ansteigenden Highway nicht würde durchhalten können? Doch der Angreifer verließ sich auf diesen einen Befehl. »Irgendwas in mir sagte nur: Go!« Und Allen ging. Trotz des brutalen Tempos verschärfte er noch einmal.
Allen riskierte alles, ohne zu wissen,
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