Bewegt Euch
wie es enden würde. Und endlich, Scott kapitulierte. »Ich wusste: Jetzt hat er mich. Es ist passiert.« In Trance hetzte Allen die restlichen fünf Kilometer bis ins Ziel. Er taumelte auf den letzten Metern, entriss einem Zuschauer die amerikanische Fahne, um gleich nach der Ziellinie heulend in die Arme eines Betreuers zu fallen.
Kaum eine Minute später kam Scott ins Ziel. Er hatte verloren, er war Zweiter – und dennoch ein Mann der Sportgeschichte. Allein hätte keiner das härteste Rennen aller Zeiten in einen solchen Krimi verwandeln können. Sie hatten gemeinsame Sache gemacht, waren zusammen unsterblich geworden. »Es war der perfekte Tag, das perfekte Rennen, der perfekte Test unserer Talente«, resümierte Scott. Seit diesem Tag reden sie miteinander.
Zum Glück fielen Examen, Mauerfall und Ironwar nicht auf denselben Tag. Denn ich hätte mich nicht gegen den Ironwar entschieden. Bis heute kann ich die YouTube-Videos immer und immer wieder anschauen, und zuverlässig jagt mir ein Schauer durch den Körper. Was früher der Handball bewirkte, übernahm nun der Triathlon. Dieser Unsinn wuchs, wenn auch langsam, zur Leidenschaft. Und der Grünwalder Burgtriathlon war schuld.
Joschka und die Krise
Abb. e
Mir ist es offensichtlich gelungen, mein Suchtverhalten auf das Laufen, ein der Biologie gemäßeres Suchtverhalten als das Völlern, zu übertragen.
Joschka Fischer in einem Interview 1997
Es gibt Momente, deren Wichtigkeit man erst Jahre später entdeckt; so wie dieser Wintermorgen in Bonn 1997, über den ich als Reporter für den Spiegel minutiös berichtete. Ein mageres Männchen vollführt in seinem engen Apartment eine Übung, die aussehen soll wie Liegestütz. Bei korrekt ausgeführter Übung verrichten die Arme die Arbeit, die Brust berührt den Boden. Das Männchen aber bewegt den Körper in der Wellenbewegung eines Delphinschwimmers. Nach siebzig Wellen springt er stolz auf. Er wird überall herumerzählen, dass er siebzig Liegestütze am Stück schafft. Politiker halt. An die Wand hat er ein Foto von George Foreman gepinnt, der trotz leichten Hüftschwabbels seinen jungen Herausforderer Michael Moore K.o. schlägt. Der Boxer ist achtundvierzig. So wie das Männchen. »Tja, wir alten Knacker«, sagt er und macht vierzig Sit-ups am Stück. Joschka Fischer in der Blüte seiner Jahre. Er spürt mit jeder Faser die süße Droge Fitness, er fühlt sich stark, voller Reserven. Er hat die härteste Trennung seines Lebens hinter sich und das Auswärtige Amt im Blick. Und was ich damals über diese Lebensphase schrieb, klang ungefähr so:
Jeden Morgen, wenn die künftige Exhauptstadt noch schläft, rennt er durch die Rheinauen. Vor einem halben Jahr hatte er die Kapuze noch tief ins Gesicht gezogen, wenn er an der leichten Steigung am Abgeordnetenhaus vom leichten Trab japsend in Spaziergangstempo zurückfiel. Das Herz raste, das Gesicht war puterrot, der mächtige Grüne ein Elendsberg. Keiner sollte ihn erkennen. Jetzt rennt er ohne Mütze. Alle die Gehetzten und Gemästeten sollen ihn sehen, wie er die Steigung hinaufsprintet. Wieder daheim schnipselt er drei Äpfel und vier Trockenpflaumen über eine Handvoll Cornflakes. Dazu entsaftet er ein halbes Dutzend eisgekühlter Orangen. Der Champagner steht seit Monaten im Kühlschrank. Joschka Fischer zelebriert seine Askese ebenso radikal, wie er zuvor die Völlerei lebte.
Tagsüber vertilgt er Berge von Äpfeln, Weintrauben und Kiwis, erst abends gehorcht er dem Körper, der nach Kohlehydraten giert. Dann isst er meterweise Weißbrot, das er zwischen den Fingern zu Kügelchen dreht. Fisch mit Gemüse oder eine spärlich belegte Pizza gönnt er sich erst, wenn er zuvor im Fitness-Studio Eisen gestemmt hat.
»Toskana-Diät« nennt Fischer die rabiate Methode, die ihn von einem fast 30 Kilogramm schweren Fleischmantel befreite. Von ehemals 110 Kilogramm Fischer sind 83 geblieben. Neulich, berichtet der Sportsüchtige dampfend vor Stolz, habe er sich vor dem Spiegel gedreht und erstmals als »zu mager« empfunden.
Die Bonner Szene weiß nicht recht, was sie von dem fitten statt fetten Grünen-Chef halten soll. Will er der Verflossenen zeigen, dass ihr die Entscheidung gefälligst leid zu tun hat? Will er der Nation mit Willenskraft imponieren? Oder zeigt der Körperkult des Fast-Fünfzigers nur, dass »auch Männer ihre Menopause haben«, wie Fraktionsfrauen glauben?
»Alles Quatsch«, brummt Fischer. Er will den neuen Trieb als Akt der Vernunft
Weitere Kostenlose Bücher