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Bewegungswissenschaft

Bewegungswissenschaft

Titel: Bewegungswissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wollny
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H OSSNER & K ORTMANN , 1999, S. 122)

    Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass sich Bewegungsfertigkeiten aus angeborenen und erworbenen Motorikmodulen (Technikbausteinen) zusammensetzen, die bei verschiedenen Bewegungsfertigkeiten eingesetzt werden können. Der volleyballspezifische Baukasten umfasst einen Pool von 21 Technikbausteinen ( vgl. Tab. 9 , 2. Spalte), aus deren Kombination sich innerhalb von 16 Situationsklassen verschiedene Fertigkeiten des leistungsorientierten Volleyballspiels (Technikgebäude) zusammenstellen lassen. Die 21 Technikbausteine konnten im Rahmen von Leistungstests der aktuellen Bundesligaspieler mehrheitlich empirisch bestätigt werden. Tabelle 9 ordnet vier ausgewählten Situationsklassen des Spitzenvolleyballs – „Aufschlag als Sprungaufschlag“, „Annahme nach Sprungaufschlägen“, „Zuspiel im Sprung bei gutem ersten Pass“ und „Feldabwehr von Blockabprallern“ – die entsprechenden Technikbausteine zu. Die jeweiligen Einzelbausteine kann der Volleyballspieler auch für andere, wenn auch nicht für alle 16 volleyballspezifischen Situationsklassen verwenden.
4 Strategien der Bewegungsrepräsentation im Überblick
    Das primäre Forschungsinteresse der Informationsverarbeitungsansätze (motor approaches) richtet sich auf die Aufklärung der kognitiven Prozesse der Verschlüsselung, der Speicherung, der Umwandlung und des Abrufs verhaltensrelevanter Informationen. Nach den Befunden experimenteller Reaktionszeitstudien untersteht die menschliche Bewegungskontrolle einem dreistufigen Informationsprozess von Reizidentifikation, Reaktionsauswahl und Reaktionsprogrammierung . Geleitet durch die kontrovers diskutierten psychologischen, neurobiologischen, kybernetischen und bewegungswissenschaftlichen Vorstellungen über die Inhalte und die Organisation motorischer Kontrollmechanismen, lassen sich die unterschiedlichen Informationsverarbeitungsansätze drei Modelltypen zuordnen.
    Nach den Konzepten der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung (mixed approaches; z. B. M EINEL & S CHNABEL , 1998) beruht die Bewegungskoordination auf eng kooperierenden zentral repräsentierten Kontrollstrukturen und peripheren Regelkreismechanismen. Rudimentäre motorische Programme lösen erste Bewegungssequenzen aus. Die anschließende Bewegungsanpassung an die unvorhersehbaren Umweltveränderungen beim Fahren in der Buckelpiste, beim Brandungssurfen oder beim Segelfliegen untersteht rückkopplungsdeterminierten Regelkreisprozessen.
    Die Konzepte der Programm- und Parametertrennung (mixed approaches) gehen in Analogie zu den Algorithmen digitaler Computer davon aus, dass motorische Programme einige wenige nichtaustauschbare zeitlich-dynamische Strukturelemente (Programminvarianten) beinhalten, die eine empirisch abgrenzbare Klasse ähnlicher Bewegungsfertigkeiten kontrollieren. Die Anpassung der unvollständigen Rahmenprogramme an die aktuellen Umweltbedingungen erfolgt durch variable, austauschbare Programmparameter. Ein bekanntes Beispiel stellt die Theorie generalisierter motorischer Programme von R. A. S CHMIDT (1975, 1988) dar.
    Die verschiedenen koordinationstheoretischen Gegenpositionen zu den mixed approaches propagieren deutlich abweichende Hypothesen über die Bewegungskoordination und die spezifischen Inhalte motorischer Kontrollstrukturen. Nach der Auffassung der ökologischen Handlungstheorien (action approaches, z. B. T URVEY , 1991), des Konnektionismus (z. B. R OJAS , 1999, 2004) oder der Modularitätshypothese (z. B. F ODOR , 1983) untersteht die Motorik nicht höheren Hirnzentren (top down), sondern einer durch tiefer gelegene Systeme und invariante Umweltinformationen (z. B. time to contact Parameter τ) kontrollierten Selbstorganisation (bottom up).
    Eine plausible, widerspruchsfreie Theorie der Bewegungskontrolle liegt trotz zahlreicher ermutigender Ansätze nicht vor. Die auf der theoretischen Ebene geführte Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen koordinationstheoretischen Ansätzen erscheint aus heutiger Sicht relativ unfruchtbar. Die stark differierenden Auffassungen über die Motorik sind vornehmlich auf unterschiedliche „levels of analysis“, voneinander abweichende empirische Terrains oder verschiedenartige einander überlappende Kontrollmechanismen zurückzuführen. Weder die Theorie generalisierter motorischer Programme noch die ökologischen Handlungstheorien, der Konnektionismus oder die Modularitätshypothese können die menschliche

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