Bewusstlos
sagte gar nichts, und auch Neri war gefährlich ruhig.
Dann stand Neri auf und zog sein Handy aus der Tasche. Er entfernte sich einige Schritte und begann erst dann zu sprechen.
»Hör zu, Alfonso«, sagte er, »mit diesem Vasco Boschino stimmt etwas nicht. Er tickt nicht sauber und hat sich hier im Castelletto eine sehr unschöne Szene geleistet. Ich bin drauf und dran, ihn festzunehmen. Aber das erzähle ich dir später genauer. Warum ich dich anrufe: Ich brauche einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Und zwar sofort. Sieh zu, dass die Brüder in Arezzo mitspielen. Es ist wirklich wichtig. Ich bleibe mit ihm zusammen, bis du mich anrufst, va bene? Denn ich will nicht, dass er nach Hause rennt und womöglich Spuren verwischt.«
»Meinst du nicht, dass du schon wieder dabei bist, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen?«, fragte Alfonso keineswegs alarmiert, und Neri hätte ihm in diesem Moment am liebsten den Hals umgedreht.
»Nein, das meine ich nicht!«, zischte er wütend. »Du kennst die Situation nicht. Wie wär’s, wenn du mir einfach mal vertraust und schnellstens das tust, was jetzt unbedingt nötig ist, verdammt.« Er entfernte sich noch weiter vom Tisch, bis er sicher war, dass auch wirklich keiner mehr ein Wort verstehen konnte. »Denn wenn dieser Paola Piselli irgendetwas zugestoßen ist, Alfonso, dann war es Vasco. Und wenn wir die Wohnung durchsuchen, werden wir auch etwas finden. Sonst fresse ich ’nen Besen.«
»Ich weiß nicht, wie viele Besen du schon hättest fressen müssen«, entgegnete Alfonso trocken. »Aber gut, ich sehe zu, was sich machen lässt, und rufe dich an. Aber die ganze Aktion liegt in deiner Verantwortung.«
»Natürlich!«, schrie Neri und legte auf.
Es war ja nicht nur dieses Käsenest Ambra, wo man jeden Tag in der Bar und auf der Piazza dieselben Nasen traf, es waren auch so unerträgliche und ignorante Kollegen wie Alfonso, die ihm das Leben schwer machten und seine Sehnsucht nach Rom ins Unermessliche steigen ließen. Aber er würde Paola finden und damit allen zeigen, dass er der am meisten unterschätzte Carabiniere der Region war.
Auf jeden Fall war es ein Fehler gewesen, mit Vasco zusammen zum Castelletto zu fahren. Was er sich genau davon versprochen hatte, wusste er inzwischen gar nicht mehr. Allerdings hätte er sonst auch nicht erfahren, dass Vasco vor Eifersucht fast platzte.
»Du hast dich vollkommen disqualifiziert, mein Freund«, sagte Neri, als er zurück zum Tisch kam, »den Rest besprechen wir in meinem Büro.« Und zu Karl sagte er: »Es tut mir leid. Ich hatte ein anderes Gespräch erwartet.«
»Schon in Ordnung.« Karl stand auf. »Lassen Sie mich wissen, wenn es in Bezug auf Paola irgendetwas Neues gibt.«
»Aber selbstverständlich.«
Vasco verabschiedete sich nicht, er sagte keinen Ton mehr und folgte Neri stumm zum Wagen.
»Ist es wahr?«, fragte Christine Karl, nachdem sie Stella in Marias Obhut gegeben hatte. »Hat Vasco recht? Hattest du was mit Paola?«
Karl machte das empörteste Gesicht, zu dem er überhaupt fähig war. »Christine, ich bitte dich! Der Mann ist krank und kommt nicht damit klar, dass Paola weg ist. Glaubst du im Ernst, dass ich mit einer Angestellten etwas anfangen würde? Damit die mich dann in der Hand hat und erpressen kann? Ich könnte ja Paola nie wieder entlassen, wenn ich so etwas Bescheuertes tun würde. Glaubst du das wirklich?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll, aber vorstellen kann ich es mir schon. Es wäre ja nicht das erste Mal.«
»Jetzt werde ich aber gleich sauer«, sagte Karl scharf, um zum Gegenangriff überzugehen. »Wir haben uns hier ein neues Leben aufgebaut. Und es ist ein tolles Leben. Wir beide haben – nach allem, was passiert ist – noch einmal ganz von vorn angefangen, und das war richtig und gut. Wie blöd müsste ich denn sein, um das alles aufs Spiel zu setzen?«
»Ziemlich blöd.«
»Eben.«
»Aber Vasco klang sehr überzeugend. Und sehr wütend. Und das saugt er sich doch nicht alles aus den Fingern, wenn er nichts weiß!«
»Meine Liebe …« Jetzt versuchte es Karl auf die väterliche Tour und nahm ihre Hand. »Der gute Vasco ist ausgekreist, weil er mit Paolas Verschwinden nicht klarkommt und davon ausgeht, dass sie irgendwo rumvögelt. Das hab ich schon mal gesagt. Er hat hier einfach seine ganze Verzweiflung rausgelassen, und dazu brauchte er einen Sündenbock. Einen Blitzableiter. Einen, den er anschreien konnte. Und da war ich nun mal in Reichweite. Also
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