Bewusstlos
Telefon erzählt.«
Neri versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie bescheuert er solch ein Verhalten fand. Wenn meine Freundin verschwindet, erzähle ich keinem Menschen, dass wir einen Streit hatten, dachte er. Aber Vasco handelte offensichtlich nur intuitiv. Seinen Verstand hatte er komplett ausgeschaltet. Und vielleicht hatte er in seiner Wut Paola auch ganz spontan, ganz intuitiv und ohne viel nachzudenken einfach umgebracht.
Cecilia brachte Kaffee und Wasser und unterbrach dadurch das Gespräch.
Vasco sah sich Karl ganz genau an. Er war ein großer Mann, wahrscheinlich ähnlich groß wie er selbst, und man spürte, dass er Kraft hatte. Und in seinen Weinbergen mit anpackte. Vasco schätzte ihn auf Mitte fünfzig, und seiner Ausstrahlung nach war er in der Blüte seiner Jahre. In den Augen einer Italienerin sicher hochattraktiv, mit seiner gebräunten Haut und dem ergrauten, leicht gewellten Haar.
Außerdem war er der Padrone. Ein reicher Mann, der in einem Castelletto lebte und mit seinem Wein und den Touristen ein Vermögen machte.
Paola war nicht dumm. Das alles hatte sie sicher genauso gesehen. In ihren Augen war er ein Gott gewesen, das Objekt ihrer Begierde. Sie war schön, sie war jung, und sie passte zuverlässig auf seine Tochter auf. Da war die kleine Familie schon fast perfekt. Er hatte oft daran gedacht, es aber nicht wahrhaben wollen.
Jetzt saß er hier auf der sonnigen Terrasse, und allein diesen Mann zu erleben, erklärte alles. Wer dies nicht sah, musste auf beiden Augen blind sein.
Sein Herz krampfte sich zusammen, und er spürte, dass er kurzatmig wurde.
Karl sagte etwas, aber Vasco hörte gar nicht mehr hin. Er nahm nichts mehr wahr, sah nur noch Karls Lächeln im grellen Sonnenlicht.
Lange schon hatte er es vermutet, aber jetzt wusste er, dass sie deswegen in letzter Zeit immer später nach Hause gekommen war. Weil sie es ständig mit ihm getrieben hatte. Hier im Castelletto oder sonst wo. Und seine Frau hatte ganz sicher nicht die leiseste Ahnung.
»Natürlich mögen wir sie alle«, sagte Karl in diesem Moment. »Und meine kleine Tochter liebt sie geradezu. Ich wäre untröstlich, wenn sie nicht mehr wiederkäme. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, was ich ohne sie machen soll.«
Für Vasco war es ein Schuldeingeständnis, und in dieser Sekunde sah er rot.
Er bekam nicht mit, dass Christine mit Stella auf dem Portico erschien und fassungslos beobachtete und mit anhörte, was unten auf dem Hof geschah.
Vasco sprang auf und ging mit ausgestrecktem Finger auf Karl los, als wolle er ihn erstechen. »Du Schwein!«, schrie er. »Du mieses, dreckiges Schwein! Du hast sie gevögelt, du hattest ein Verhältnis mit ihr, und du wagst es, hier so zu reden? Du hast sie ausgenutzt, und sie musste sich von dir vergewaltigen lassen, um ihren Job nicht zu verlieren. Wenn du sie gerufen hast, musste sie zur Stelle sein, und wenn du wolltest, musste sie die Beine breit machen. Meinst du, ich kenne dich nicht? Wegen dir war sie fast nie mehr zu Hause! Was bist du doch für ein arroganter Dreckskerl, der es nötig hat, sich die jungen Dinger zu nehmen, die von ihm abhängig sind. Und nach außen hin tust du so toll, du dämlicher, affektierter Deutscher! Geh doch nach Hause, hau ab, hier hast du nichts zu suchen! Und lass unsere Frauen in Ruhe!«
»Es reicht, Vasco! Bist du denn völlig verrückt geworden?« Neri bebte vor Zorn.
Karl selbst war sprachlos und dachte, dass es besser wäre, Vasco toben zu lassen und nicht auch noch aggressiv zu werden. Daher saß er betont lässig auf seinem Stuhl, ließ den Unterarm über die Lehne baumeln und lächelte milde, was Vasco nur noch mehr auf die Palme brachte, und er ließ sich auch durch Neri nicht bremsen.
»Du hast sie umgebracht! Du bist einfach ausgerastet, weil sie dich alten Sack nicht mehr wollte und weil sie dich nicht mehr ertragen konnte. Da hast du die Nerven verloren, weil du es nicht aushältst, wenn mal irgendjemand nicht das tut, was du sagst. Und dann hast du sie irgendwo im Weinberg verscharrt.« Vasco gingen die Worte aus. »Mörder!«, schrie er noch lauter. »Feiger Mörder! Aber ich schwöre dir, wenn ich dich mal allein in die Finger kriege, bringe ich dich um. Du wirst keine Ruhe mehr finden, da kannst du sicher sein!«
Vasco schwitzte. Der Schweiß tropfte auf den hellen Terrakotta-Fußboden und hinterließ dunkle Flecken.
Christine traute sich nicht die Treppe hinunter und blieb mit Stella auf dem Portico stehen.
Karl
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