Bezaubernde Spionin
James I. von Schottland hervorgegangen war, sondern sogar eine beispiellose Karriere gemacht hatte, hoch in der Gunst des Königs stand und von ihm zum Lordkämmerer berufen worden und somit nach dem König und dem Lordkanzler der mächtigste Mann im Staat war. Rupert von Atholl, ein Mann, ebenso intelligent wie mutig, der im richtigen Moment das Richtige getan hatte. Nanettes Miene verdüsterte sich. Sicher, es war das Richtige gewesen. Juliet McPherson, die Gemahlin von Connor McPherson, Earl von Glaschoire, Laird von Mandrake Manor und Clanchief der McPhersons, würde ihr gewiss aus ganzem Herzen zustimmen. Denn Sir Rupert hatte mit seiner Tat das Leben ihres Gemahls, Connor McPhersons, gerettet. Dennoch, wie grausam war Dame Fortuna, die manchmal schwerste Prüfungen und gewaltige Steine eben denen in den Weg legte, die sie zuvor so zu erheben schien. Als gäbe es kein Licht ohne Schatten, kein Gutes ohne Böses, keinen Sieg ohne Verlust; das wahrlich hatte Sir Rupert höchst schmerzlich am eigenen Leib verspürt. Sein Armbrustbolzen mochte Connor McPherson das Leben gerettet und den schottischen König davor bewahrt haben, eine politisch höchst brisante Entscheidung treffen zu müssen, eine Entscheidung, die das junge schottische Königreich möglicherweise in einen sehr ernsten Konflikt, wenn nicht einen Krieg mit England gestürzt hätte, bevor es sich überhaupt hatte festigen können. Dieser Bolzen hatte leider nicht nur den Gang der Geschichte, sondern auch das persönliche Schicksal von Sir Rupert beeinflusst. Denn nicht zuletzt wegen dieser Geistesgegenwart, die sich mit einer scharfen Intelligenz paarte, war der Stewart zur Überraschung aller, trotz seines jugendlichen Alters und dem Makel seiner Herkunft als Mitglied einer Familie von Hochverrätern, von James I. von Schottland zum Lordkämmerer berufen worden.
Gleichzeitig jedoch hatte dieser Schuss, der den heimtückischen Herzog Argyll von Albany auf dem Turnierplatz niedergestreckt hatte, auch mitten ins Herz seiner Liebe getroffen. Keine Frau, sei es eine einfache Bäuerin aus dem Volke oder eine Edeldame, die auch nur das geringste Empfinden für Anstand und Sitte hatte und etwas auf sich hielt, würde den Mörder ihres Vaters als Ehemann in ihr Bett nehmen. Trotzdem, Nanette DeFleurilles war nicht wirklich davon überzeugt, dass Sir Rupert mit seinem Schuss die Liebe seiner Angebeteten wirklich getötet hatte. Jedenfalls nicht, wenn sie Aylinn von Albany ansah. Eines war jedoch sicher, er hatte damit eine Situation geschaffen, die recht ausweglos schien.
Aylinn spürte Nanettes nachdenklichen Blick auf sich ruhen, während sie vorgab, ihr Spiegelbild zu betrachten. Die junge Herzogin von Albany wusste sehr wohl, welch große Rolle, vor allem am Hof eines Königs, das Äußere spielte und der Eindruck, den man hinterließ. Aber darüber machte sie sich keine allzu großen Sorgen. Sie wusste, wie sie aussah, wusste, dass sie schön war - gab es etwa nicht genug Schmeichler, die ihr das immer und immer wieder unaufgefordert bestätigten? –, und sie hatte dieses grüne Samtkleid mit den schwarzen Spitzen, den raffinierten Bordüren und dem tiefen Ausschnitt schließlich nicht aus einer Laune heraus ausgesucht. Ihre Garderobe und auch dieser Moment ihres Auftretens am Hofe waren das Ergebnis kluger Kalkulation. Als Juliet McPherson, die für Aylinn mittlerweile eine gute Freundin geworden war, sie vor einem Monat besucht hatte und, wie sie strahlend verkündete, die Abwesenheit ihres Gemahls Connor nutzte, um »gute Freundschaften« zu pflegen, hatte Aylinn sich keine Sekunde von Juliets unbekümmerter Fröhlichkeit täuschen lassen. Die beiden Frauen hatten sich erst zwei Wochen zuvor, anlässlich einer Jagd, die Connor in den Wäldern um Mandrake Manor veranstaltete, getroffen und ausgiebig geplaudert.
Zudem, und das war der weit wichtigere Hinweis, hatte Juliet ihr heiß geliebtes Töchterchen Elizabeth, von der sie sich so gut wie nie trennte und in die sie und ihr Gemahl grenzenlos vernarrt waren, auf Mandrake Manor gelassen, in der Obhut ihrer Amme. Dafür hatte sie Nanette DeFleurilles mitgebracht, ihre Vertraute und Freundin, die vor den turbulenten Geschehnissen bei Jakobs Heimkehr und seiner anschließenden Krönung zu James I. eine fast ebenso wichtige Rolle gespielt hatte wie Juliet selbst. Und zurzeit diente Nanette als Hofdame der Königin Joan Beaufort in einer Position, in der sie die Intrigen, Ränke und Pläne des Palastes
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