Bezaubernde Spionin
hatte. Aber er nahm den bärbeißigen Griesgram gern auf den Arm, weil er wusste, dass Sir Archibalds Humor ebenso strapazierfähig war wie seine Leber, und außerdem bot ihm, Sir Rupert, dieses kleine Wortgefecht Gelegenheit, seine Zunge für die Begegnung mit den gerissenen und bissigen Engländern zu schärfen. Und, gib es ruhig zu, dachte er, sich von anderen Gedanken und Bildern abzulenken, Traumbildern, in denen eine wunderschöne Frau mit blonden Haaren und vollen, verführerischen Lippen - vom Rest ihres makellosen Körpers ganz zu schweigen - eine Hauptrolle spielte.
Sir Archibald dämmerte, wenn auch etwas später, dass Sir Rupert sich auf seine Kosten über ihn lustig gemacht hatte. Obwohl er als Lordkanzler im Rang über dem jungen Lordkämmerer stand, dachte er gar nicht daran, Sir Rupert seine Bemerkung übel zu nehmen, oder ihn etwa zurechtzuweisen. Stattdessen lachte er, wenngleich etwas gequält.
»Wohl wahr, aber ich bin noch nicht zu alt, um dazuzulernen.« Er warf einen kurzen, sehnsüchtigen Seitenblick auf die Weinkaraffe, schüttelte sich dann jedoch und seufzte. Wein mochte vielleicht ein Getränk für Weibsbilder sein, aber er hütete sich, seine Wirkung zu unterschätzen. Und für die Begegnung, die ihnen gleich bevorstand, war es besser, einen klaren Kopf zu haben. »Jedenfalls würde es mich nicht wundern, wenn diese englische … Lady selbst in Whisky baden könnte, ohne dass man es ihr anmerkt. Dieses Weib ist mit allen Wassern gewaschen, Sir Rupert, glaubt mir.«
»Ihr seid also nicht von Lady Harringtons Aufrichtigkeit und Tugendhaftigkeit überzeugt?« Rupert trat gelassen an einen gepolsterten Lehnstuhl, nahm das frische Leinenhemd, das sein Kammerdiener bereitgelegt hatte, und streifte es sich über den Kopf.
»Tugendhaftigkeit?« Archibald von Grant lachte bellend. »Glaubt Ihr wirklich, dass Bedford und York sie nach Schottland geschickt hätten, wenn sie tugendhaft oder aufrichtig wäre? Hierher, in die Höhle der Barbaren?«
Sir Rupert neigte zustimmend den Kopf, aber seine Lippen zogen sich zu einem schmalen Strich zusammen, und in seinen dunkelblauen, klaren Augen schimmerte Stahl, als Sir Archibald die Namen der beiden Männer erwähnte, die England für den noch jugendlichen König Heinrich VI. »regierten«, wie sie es nannten. Auswringen wäre gewiss das bessere Wort, dachte er. Richard von York, der Vetter des Königs, führte die Amtsgeschäfte des Königreiches, tatkräftig unterstützt vom Herzog John von Bedford, dem Onkel des jungen Königs, Bruder seines Vaters Heinrichs V., und, was kein Schotte vergessen würde, Feldherr der Engländer in der siegreichen Schlacht von Vernuil, die so viele Söhne Schottlands das Leben gekostet hatte. Dass die Engländer die Schotten Barbaren schimpften, konnte er schon eher verschmerzen, vor allem deshalb, weil er nicht ganz abstreiten konnte, dass die Sitten und Manieren seiner Schotten tatsächlich ein wenig, wie er zu sagen pflegte, rustikal waren.
Außerdem war Bedford ein entfernter Verwandter des toten Herzogs Argyll von Albany und steckte zweifellos hinter der scharfen Protestnote, mit welcher der englische König auf den Tod seines »lieben Cousins Albany« reagiert hatte. Rupert runzelte die Stirn. Ja, Bedford war ein Gegner, den man nicht unterschätzen durfte, vor allem jetzt nicht, da sein alter Groll gegen die Schotten auch noch durch diese persönliche Färbung verstärkt worden war. Was wiederum die Frage umso interessanter machte, was diese Lady Georgina Harrington tatsächlich im Schilde führte. Wenn sie wirklich von Bedford geschickt worden war …
»Ihr meint also«, nahm Sir Rupert den Faden wieder auf, während er sich das schwarze samtene Wams mit den weiten Pluderärmeln zuknöpfte, die Amtskette mit dem Siegel des Lordkämmerers über den Kopf hob und sie auf dem weichen Stoff zurechtrückte, »dass diese Lady ebenso verdorben wie gerissen ist? Hm«, er lächelte, setzte sich auf einen gepolsterten Stuhl und zog seine hohen ledernen Schaftstiefel an. »Das klingt nach einer recht interessanten und fast schon unwiderstehlichen Herausforderung, Sir Archibald, findet Ihr nicht?«
Der alte Clanchief des Grant-Clans führte schon seit mehr als zwanzig Jahren als Chieftain, wie die schottischen Clans einen gewählten Häuptling nannten, die Geschicke mehrerer anderer, sehr einflussreicher und vor allem königstreuer Clans. Jetzt musterte er den jungen Stewart nachdenklich. »Möglicherweise, sicher, für
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