BIANCA EXKLUSIV Band 0171
durch die Vordertür. Sie glaubte nicht an Gespenster. Sebastian war ein lebender Mensch. Er war zu warm, zu stark, zu männlich, um in einer anderen Welt als dieser zu existieren. Irgendwo dort draußen in der Dunkelheit musste es eine Erklärung dafür geben, dass er an zwei Orten zugleich sein konnte.
Und jetzt stand sie wie Julia auf dem Balkon und wusste, dass er gerade eben Besitz von ihr ergriffen hatte. Sie wusste nicht, wie oder warum oder was es bedeutete, sie wusste nur, dass sie sich von Sebastian de Vergille fernhalten musste. Er war eine Bedrohung. Er war „dangereux“.
Sie fröstelte, aber es war nicht die Angst, die sie frieren ließ. Es war die Einsamkeit.
„Es ist zu gefährlich. Louis muss bald kommen.“
Seb tat Charlottes Besorgnis mit einem Schulterzucken ab und hängte sich das aufgerollte Seil um. „Louis ist seit drei Tagen fort. Wir wissen nicht, wann er zurückkehrt. Ich kann es mir nicht leisten, auf ihn zu warten.“ Er befestigte einen Karabinerhaken am seinem Gürtel und überprüfte den Sitz der Kletterausrüstung. „Schon deshalb nicht, weil sie jetzt hier ist.“
„Wir können sie loswerden. Sie hat genug Angst. Wenn wir etwas nachhelfen, ist sie morgen schon verschwunden.“
„Ich wünschte, es wäre so.“
„Vertrauen Sie mir. Sie ist verwöhnt und glaubt, nur mit den Fingern schnippen zu müssen, um alles zu bekommen. Ihr steht ein böses Erwachen bevor.“
Seb lächelte. „Ich nehme an, sie hat etwas Luxuriöseres erwartet. Und ich habe den Eindruck, unsere Erbin ist nicht halb so verwöhnt, wie ihre Sekretärin es sein möchte.“
„Miss O’Halloran wird ein Problem werden.“
Seb wandte den Blick ab. Charlotte entging kaum etwas. Sie sollte nicht wissen, was für ein Problem Miss O’Halloran bereits jetzt für ihn darstellte. „Ich werde einen Weg finden.“
„In ihr Bett? Ich sehe doch, was für Blicke Sie ihr zuwerfen.“
„Sie ist attraktiv“, sagte er. „Und wenn ich sie verführen muss, um mein Ziel zu erreichen, werde ich meinen Charme einsetzen.“
„Die Frau bringt nichts als Ärger, Sebastian“, warnte Charlotte. „Lassen Sie die Finger von ihr.“
„Würden Sie es lieber sehen, wenn ich die kleine Erbin verführe?“
„Wenn sie sich in Sie verliebt, könnte das Schloss bald Ihnen gehören, Sebastian.“
„Ich will nur, was mir zusteht.“ Er blickte zur Spitze des Südturms hinauf. „Ich brauche es nur zu finden.“
„Es ist verrückt, in der Dunkelheit hinaufzuklettern.“
„Soll ich es etwa tun, wenn es hell ist?“
„Es wäre auch dann verrückt. Warten Sie, bis Sie durch den Gang in den Turm können.“
„Die Tür, die vom Tunnel in den Turm führt, ist fest verschlossen und der Eingang des Tunnels zugemauert. Ich habe keinen anderen Weg in den Turm gefunden. Jetzt, da Mademoiselle Carlisle hier ist, werde ich vielleicht keine Gelegenheit mehr bekommen, nach Geheimgängen zu suchen. Und dies ist vielleicht meine letzte Chance, den Turm zu besteigen.“
Nervös fingerte Charlotte an ihrer Schürze herum. „Aber die Turmfenster sind viel zu schmal. Selbst wenn Sie sich vorher nicht den Hals brechen, passen Sie nicht hindurch. Es ist zu gefährlich.“
Seb drückte ihre Hand. „Keine Angst. Vor Sonnenaufgang bin ich wieder draußen. Niemand wird es merken, und ich werde mir auch nicht den Hals brechen.“
„Warum gehen Sie ein solches Risiko ein, Sebastian? Wir werden die Frauen wieder los. Ohne Personal halten sie es hier keine zwei Tage aus. Mein Essen wird ihnen den Rest geben.“
Seb lachte. „Wenn Mademoiselle erst Ihre Fischsuppe gekostet hat, wird sie einen Chefkoch aus Paris kommen lassen.“
„Ich werde die Köpfe an den Fischen lassen. Das dürfte ihrem verwöhnten Gaumen einen ordentlichen Schock versetzen.“ Charlotte überlegte. „Uns fällt bestimmt noch mehr ein. Und falls das nicht wirkt, muss es vielleicht einen weiteren … Unfall geben.“
Unfall. Das Wort ließ Sebastian daran denken, wie er die Frau in den Armen gehalten und ihr herrlich duftendes Haar an der Wange gespürt hatte. Sie hatte Angst gehabt, auch wenn sie es zu verbergen versucht hatte. Aber er bezweifelte, dass sie das Schloss verlassen würde. Jedenfalls nicht, bevor sie all seine wohldurchdachten Pläne durcheinandergebracht hatte.
Er schaute an der regennassen, glatten Turmwand hinauf und dachte … an sie. So, wie er sie auf dem Balkon gesehen hatte. Mit windzerzaustem Haar, im weißen Nachthemd. Er hätte sofort
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